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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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freue mich genauso über ein Mädchen. In unserer Familie gibt es ohnehin zu wenige. Über dreieinhalb Kilo wiegt sie. Ein hübsches Baby, das schönste Kind auf der Station.«
    Hört er denn gar nicht mehr auf?, dachte Dühnfort. Selten hatte er einen derartigen Redeschwall von seinem Vater gehört. Gleichzeitig fühlte er Eifersucht in sich aufsteigen und das Gefühl von Ohnmacht und Versagen. Das war sein Traum, der da in Erfüllung ging. Aber es war sein Bruder, der erreicht hatte, wovon er selbst sich jeden Tag seines Lebens weiter zu entfernen schien. »Das sind ja schöne Neuigkeiten.« Er hörte noch eine Weile zu, ließ ein paar typische Fragen nach dem Verlauf derGeburt und der Gesundheit der Mutter los und beendete dann das Gespräch. »Grüße an Julius und Victoria.«
    Agnes stand am Spülbecken und wusch Zucchini. Er trat hinter sie, legte die Arme um sie und den Kopf auf ihre Schulter. In der kleinen Kuhle war es warm, und es roch ein wenig nach Salz und Wind. Wenn sie ihn lieben und heiraten würde …
    Agnes löste sich von ihm und drehte sich um, die tropfnassen Zucchini in der Hand. »Was ich vorhin sagen wollte, ist genau das. Wenn ich das jetzt richtig mitbekommen habe, dann war gerade dein Vater am Telefon, du bist Onkel geworden, hast also einen Bruder oder eine Schwester. Wir kennen uns jetzt seit vier Monaten, aber dass du Geschwister hast, hast du noch nie erwähnt. Du klammerst mich aus deinem Leben aus. Fürs Bett …«
    Es war alles nur ein Missverständnis. Erleichterung erfasste ihn in einer großen Welle. Er zog sie an sich und küsste sie. Sie erwiderte seinen Kuss, ließ die Zucchini ins Spülbecken fallen und fuhr mit feuchten Händen durch seine Haare. Er zog die dämliche Schürze aus und ließ seine Hände unter ihre Bluse wandern. »Uh, wie kalt«, sagte sie. Wie immer. Es fühlte sich an, als sei er endlich nach Hause gekommen. Er hatte ihr nie gesagt, was er für sie empfand. »Ich liebe dich.« Die Worte waren heraus, kaum dass er sie gedacht hatte. Es war, als sei damit der Damm gebrochen. Er legte seinen Kopf wieder in diese wunderbare Kuhle. »Ich liebe die kleine Narbe an deiner Augenbraue, ich liebe deinen Mut und deine Unabhängigkeit. Und dass du die einzige Frau bist, die ich je kennengelernt habe, die weiß, wie man Juliennestreifen schneidet, auch dafür liebe ich dich. Und auch dafür, dass mein Bäuchlein genau in die kleine Muldeunter deinen Rippen passt. Ich würde dich gerne heiraten und mit dir Kinder haben.« Sein Herz klopfte plötzlich in schnellen, harten Schlägen. Er löste sich von ihr, sah ihr in die Augen und wusste schon alles, bevor sie es aussprach. Im Graublau der Iris flackerte ein ängstlicher Funke, der einen dumpfen Schmerz in ihm entfachte.
    »Du weißt doch … Ich bin noch nicht so weit. Ich mag dich sehr … wahnsinnig, vielleicht liebe ich dich auch. Ich weiß es nicht … aber eines weiß ich: Ich kann mir nicht vorstellen, noch einmal Mutter zu werden. Mein Kind ist tot … ich kann es doch nicht ersetzen.« Während sie sprach, hatte sie sich an den Rand des Spülbeckens gelehnt, die im Augenblick größtmögliche Distanz zwischen ihre Körper gebracht. »Gib uns bitte Zeit. Lass es sich entwickeln.«
    »Und dann?«, fragte er mit einer Stimme, die ihm fremd war, und wich einen Schritt zurück. »Dann sagst du mir in einem halben Jahr oder in drei Jahren oder je nachdem, wie lange ich dumm genug bin, dieses Spiel mitzuspielen, dass es dir leidtut.«
    »Mehr als Zeit kann ich dir nicht anbieten. Wenn dir das nicht genügt …«
    »Das tut es nicht. Ich will Klarheit. Entweder gibt es für uns die Möglichkeit, ein Paar zu werden, und zwar ein richtiges und nicht nur im Bett, oder wir beenden das jetzt.«
    Sie sah ihm in die Augen, ihre Gesichtszüge verloren alles Weiche, spannten sich, ihr Blick wurde hart. »Ich lasse mich nicht unter Druck setzen. Von niemandem, und wenn ich ihn noch so sehr … Nie wieder.«

S AMSTAG , 18 . O KTOBER
    Albert schlief noch, als Babs mit Leon und Noel die Wohnung verließ und sie zur Schule brachte. Die Busse standen bereit. Es war ein Gewimmel von Eltern, Kindern und Lehrern, ein fröhliches Treiben. Sie verabschiedete sich von ihren Jungs, indem sie ihnen einmal durch die Haare fuhr. Eine Umarmung oder ein Kuss wären
echt peinlich
gewesen. Ebenso, wenn sie hier stehen bleiben und ihren Kindern nachwinken würde. »Mami, du musst nicht warten.« Noel wandte sich ab und stieg in den Bus, um

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