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In weißer Stille

In weißer Stille

Titel: In weißer Stille Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inge Löhnig
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Thujenhecke gestutzt, aber das Laub nicht zusammengerecht und die vertrockneten Stauden nicht zurückgeschnitten. Ein Schild am Gartentürchen warnte vor einem bissigen Hund. Doch die Promenadenmischung, die kläffend aus dem Holzhaus geschossen kam, nachdem Dühnfort geklingelt hatte, glich eher einem ramponierten Handfeger als einer gefährlichen Bestie.
    »Ist ja gut, Susi«, rief die alte Dame, die im Türrahmen erschien. Sie war klein und zierlich. Das weiße Haar war kurz geschnitten wie bei einem Mann. Mit dem Schlüsselbund in der Hand kam sie den Gartenweg herunter, während Susi bellend am Türchen hochsprang. Der Hund schien eine Mischung aus Rauhaardackel und Yorkshireterrier zu sein, und Frauchens Worte beeindruckten ihn gar nicht. Der Keks dagegen, den die alte Dame aus der Tasche ihres grünen Walkjankers zog, tat seine Wirkung. Susi verstummte und schnappte sich das Leckerli. »So ist’s brav.« Waltraud Ullmann wischte sich die Hand an der Jeans ab und reichte sie Dühnfort.
    »Frau Ullmann, ich bin von der Polizei. Es gibt noch ein paar Fragen wegen Ihres Nachbarn.« Dühnfort reichte seinen Ausweis über den Zaun.
    Argwöhnisch musterte sie ihn. »Da gehen wir wohl besser hinein.« Sie gab Dühnfort die Karte zurück und sperrte auf. Er folgte ihr zum Haus, vorbei an einer Garage, vor der ein Bootsanhänger mit Segelboot stand. Obwohl es mit einer Persenning abgedeckt war, vermutete Dühnfort aufgrund von Form und Beplankung, dass es ein Folkeboot war. So eines hatte er früher manchmal während der Urlaube auf Sylt gesegelt.
    Waltraud Ullmann blieb neben ihm stehen. »Es gehörtmeinem Mann. Segeln ist seine Leidenschaft. Ich mach mir ja nichts daraus.« Fröstelnd zog sie den Janker zu. »Lassen Sie uns reingehen.«
    Das Haus war in der gleichen Blockbauweise errichtet wie Heckeroths Haus, aber etwas kleiner. Es war mit rustikalen Kiefernholzmöbeln eingerichtet, und ein Geruch nach Hundefutter, Kaffee und Wolle hing in der Luft. Ein grüner Kachelofen befand sich in einer Ecke, Vorhänge, Kissen und Sitzpolster aus karierten und geblümten Stoffen unterstrichen den rustikalen Bauernhausstil. Vor Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, musste das alles sehr hübsch gewesen sein. Aber jetzt waren die Farben verschossen, die Möbel angeschrammt, und überall stand oder lag etwas herum. Angebrochene Packungen Hundefutter, Waschmittelkartons voller Wollknäuel, ein Korb, aus dem leere Marmeladengläser quollen. Am beeindruckendsten waren jedoch die Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, die sich die Eckbank erobert hatten, über den Boden mäanderten und am Kachelofen vorbei bis in den Flur vorgestoßen waren. Auf dem Tisch lag neben einem angeschlagenen Keramikbecher und einer Brille die aktuelle Tageszeitung.
    »Bitte schön.« Waltraud Ullmann nahm einen Stapel Zeitungen von einem der Stühle und legte ihn auf den Boden. Dühnfort setzte sich. Susi schnupperte an seinen Schuhen und verzog sich dann in ihr Körbchen vor dem Heizkörper. »Über den Herrn Heckeroth wollen Sie also was wissen. Mein Mann kann Ihnen da sicher besser weiterhelfen. Er unterhält sich ja oft mit ihm.«
    »Ist er denn da?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Er ist grad beim Arzt. Die Hüfte.«
    »Aber am vorletzten Montagabend, am 6 . Oktober,sind Sie mit dem Hund rausgegangen und nicht Ihr Mann?«
    »Das machen wir immer so. Die Susi und ich.« Als der Hund seinen Namen hörte, stellte er die Ohren auf und winselte.
    »Und an diesem Abend haben Sie gesehen, dass Heckeroths Auto weg war?«
    »War das am Montag?« Sie griff nach der Zeitung und sah auf das Datum. »Richtig. Wir sind Gassi gegangen. Das machen wir jeden Abend so.«
    »Immer um die gleiche Zeit?«
    »Ich gehe immer sofort nach der Tagesschau mit der Susi.« Das Winseln steigerte sich. »Willst du ein Leckerli?«, fragte die alte Frau, stützte sich am Tisch ab und stand auf.
    Während sie zum Küchenschrank ging, sah Dühnfort sich um. Er entdeckte kein Fernsehgerät. Sein Blick blieb an einem gerahmten Foto haften, das im Erker zwischen zwei Fenstern stand. Es zeigte einen älteren Herrn mit dichtem weißem Haar, wettergegerbtem Gesicht und einem Zigarillo im Mundwinkel. Am Rahmen war ein Trauerflor befestigt. Eine klamme Ahnung beschlich Dühnfort. »Wann haben Sie Herrn Heckeroth denn das letzte Mal gesehen?«
    Waltraud Ullmann schnitt mit einer Schere eine Packung Butterkekse auf und blickte stirnrunzelnd hoch. »Vorgestern war das. Wir haben uns am Zaun unterhalten.

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