In weißer Stille
Dühnfort nickte ihm zu und trat vor die Tür. Es regnete noch immer.
Zurück am Präsidium, holte er sein Auto und machte sich auf den Weg nach Giesing. Als er über die Luitpoldbrücke fuhr, brach die Sonne durch die Wolken. Die Säule mit dem Friedensengel ragte aus dem Rondell dahinter auf, die vergoldete Figur funkelte im Sonnenlicht. Graubraun rauschte die Isar dem nächsten Wehr entgegen, und Dühnfort hatte plötzlich das Gefühl, dass sie sich völlig verzettelten. Sie sammelten hier ein Steinchen ein und dort eines, aber es zeichnete sich kein Muster ab. Die entscheidende Frage war die, ob die beiden Morde miteinander in Verbindung standen, und falls ja, wie Sabine Groß in das Bild passte. Das Handy klingelte. Er meldete sich. Es war Meo.
»Ich bin mit den Verbindungsdaten durch. Vor drei Wochen hat Sabine Groß Bertram auf dem Festnetzanschluss angerufen. War ein kurzes Gespräch. Hat keine Minute gedauert.«
»Gab es nur dieses eine Gespräch?«
»Yes.«
»Danke.« Dühnfort fuhr über den Mittleren Ring in den Stadtteil Giesing. Alex Schimoni hatte dort in der Nähe des S-Bahnhofs im Rückgebäude eines Hauses aus der Nachkriegszeit ihr Powerfrauen-Studio aufgemacht. Er parkte in einer Bucht an der Straße und erreichte durch einen Durchgang den Hinterhof. Auf einer Glastür klebte der neongrüne Schriftzug
Powerfrauen.
Dühnfort trat ein und befand sich in einer Art Foyer, von dem ein Flur und zwei Türen abgingen. Nasse Fußspuren zogen sich über das Linoleum. In einem eimergroßen Schirmständer steckte ein halbes Dutzend Regenschirme. Von irgendwoher drangen Stimmen. Ein Plakat an der Wand listete das Programm auf: psychosoziale Beratung, Rechtsberatung, Scheidungsbegleitung, Mediation und Selbstverteidigung: Karate, Kickboxen, Taekwondo. Der Stuhl hinter der Empfangstheke war verwaist, die Tür dahinter angelehnt. Dort rührte sich etwas. Dühnfort räusperte sich, und eine kunterbunte Frau kam zum Vorschein. Hennarote Dauerwelle, darin ein pinkfarbenes Tuch, grüne Augen, moccabrauner Lippenstift, türkiser Pulli, karmesinroter Rock. »Zutritt für Männer verboten.« Sie wies auf ein Schild an der Theke.
Er reichte ihr seinen Dienstausweis. »Ist Frau Schimoni im Haus?«
Sie warf einen Blick darauf und schob die Karte zurück. »Sie gibt gerade einen Kurs. Der ist aber in ein paar Minuten vorbei.«
»Dann warte ich so lange.«
»Aber bitte im Hof.« Sie zeigte wieder auf das Schild. Im selben Moment setzte ein Platzregen ein. Er trommelte auf das Blechdach, ließ den Durchgang hinter einem grauen Schleier verschwinden und verwandelte den buckligen Asphalt des Hinterhofs in eine Pfützenlandschaft.
»Bei allem Verständnis«, sagte Dühnfort und ging zur Sitzecke, »ich gehöre zu den
good guys.
Wir sind diejenigen, die prügelnde Ehemänner in Gewahrsam nehmen, Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter rufen und auch mal als Taxi zum Frauenhaus unterwegs sind.« Er knöpfte den Mantel auf und setzte sich.
»Soll ich Ihnen vielleicht noch einen Kaffee servieren?«
Dühnfort lächelte. »Danke. Ich hatte gerade einen.« Er griff nach dem Programmheft und blätterte darin.
Irgendwo schlug eine Tür. Das Stimmengewirr wurde lauter und ebbte wieder ab. Alex Schimoni trat aus dem Halbdunkel des Flurs ins Foyer. Dühnfort stand auf und ging auf sie zu. Sie trug eine schwarze Trainingshose und ein Tanktop. In der Hand hielt sie eine Flasche Mineralwasser. An Armen und Schultern traten die Muskeln hervor. »Ach, die Staatsgewalt.« Ein verärgerter Zug erschien um ihren Mund.
»Können wir irgendwo in Ruhe reden?«
»Ich mache jetzt sowieso Mittag«, sagte die bunt gekleidete Frau, schlüpfte in einen grünen Strickmantel, griff nach einem der Schirme und ließ einen Schwall feuchter Luft herein, als sie vor die Tür trat.
»Bitte.« Alex Schimoni ließ Dühnfort den Vortritt in ein karg eingerichtetes Büro. Zwei verschrammte Schreibtische standen sich gegenüber, in Kiefernholzregalen türmten sich Aktenordner. Sie bot Dühnfort den Besucherstuhl neben ihrem Schreibtisch an und setzte sich.
»Sie wissen von dem Suizidversuch?«, fragte Dühnfort.
Alex Schimoni nickte. »Das mit dem Foto war einfach zu viel für sie.«
»Es tut mir leid. Ich hatte keine Ahnung, dass sie es nicht kennt. Aber das haben wir ja schon besprochen. Leider kann ich Frau Groß nicht selbst befragen. Deshalb bin ich hier.«
Alex lehnte sich im Stuhl zurück und verschränkte die Arme. »Sie wollen ihr diesen Mord
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