In Zeiten der Flut
hätten führen können, hatte der Strom der Flüchtlinge, die zum Piedmont unterwegs waren, verwischt.
Er blinzelte in den Regen. Im Osten durchdrang ein schwacher Lichtschimmer die Düsternis, verschwommen, beinahe nicht vorhanden, und einen Moment lang meinte er, das Unwetter höre auf. Dann bewegte sich der Lichtflecken ein wenig. Also war es keine natürliche Lichtquelle.
Wer mochte an solch einem Tag wohl unterwegs sein? überlegte er.
Das Licht wurde allmählich heller, intensiver, zog sich zusammen und nahm eine bläuliche Färbung an. Jetzt sah er sogar, was es war; das leuchtende Bildschirmgesicht eines Surrogats, das durch den Regen stapfte. Nach und nach nahm der Körper unter dem blauen Lichtflecken Gestalt an - die gespenstische Karikatur einer menschlichen Gestalt in einem Regenmantel und mit einem breitkrempigen Hut, der am Kopfteil befestigt war, um das Wasser abzuhalten.
Der Regenmantel flatterte im Wind, das Surrogat kam näher.
Es steuerte geradewegs auf das Hotel zu. Der Bürokrat sah jetzt, daß es etwas unter dem Arm trug, eine lange, schmale Kiste, genau passend etwa für ein Dutzend Rosen oder eine kurzläufige Flinte.
Der Bürokrat verließ den Eingang und trat auf die erste Treppenstufe. Regen klatschte gegen seine Schuhe, ein Vordach schützte jedoch seinen Oberkörper. Das Surrogat hatte den Fuß der Treppe erreicht und sah lächelnd zu ihm auf.
Es war der falsche Chu.
»Wer sind Sie?« fragte der Bürokrat kühl.
»Ich heiße Veilleur. Falls Sie wert darauf legen.« Veilleurs Lächeln war zuvorkommend und unverbindlich. »Ich bringe Ihnen eine Nachricht von Gregorian. Und ein Geschenk.«
Der Bürokrat blickte mit gerunzelter Stirn auf dieses arrogante Jungengrinsen hinunter. So mußte Gregorian in seiner Jugend gewesen sein. »Sagen Sie Gregorian, daß ich mit ihm persönlich sprechen möchte, über eine Angelegenheit, die uns beide betrifft.«
Veilleur spitzte mit spöttischem Bedauern die Lippen. »Bedauerlicherweise hat der Meister im Moment furchtbar viel zu tun. Aber wenn Sie mir Ihr Anliegen mitteilen möchten, werde ich gern sehen, was sich machen läßt.«
»Die Angelegenheit ist vertraulich.«
»Oho. Nun, ich werde mich kurzfassen. Meister Gregorian hat erfahren, daß Sie in den Besitz eines Gegenstands gelangt sind, der von nostalgischem Wert für ihn ist.«
»Sein Notizbuch.«
»Genau. Ein wertvolles Studienobjekt, möchte ich betonen, aus dem Nutzen zu ziehen es Ihnen an den nötigen Voraussetzungen fehlen dürfte.«
»Trotzdem ist es nicht gänzlich ohne Interesse für mich.«
»Dennoch muß mein Meister Sie bitten, es zurückzugeben. Er vertraut darauf, daß Sie sich kooperativ zeigen werden, zumal das Buch, offen gesagt, nicht Ihnen gehört.«
»Sagen Sie Gregorian, er kann das Buch jederzeit bei mir abholen. Persönlich.«
»Ich genieße das Vertrauen des Meisters. Was Sie ihm sagen wollen, können Sie auch mir sagen, was Sie ihm geben wollen, können Sie auch mir geben. Man könnte sogar sagen, daß er da, wo ich bin, gewissermaßen ebenfalls anwesend ist.«
»Nicht mit mir«, erwiderte der Bürokrat. »Wenn er das Buch haben will, so weiß er, wo ich bin.«
»Wenn es auf die eine Art nicht geht, muß man eben zu anderen Mitteln greifen«, meinte Veilleur philosophisch. »Mir wurde aufgetragen, Ihnen dies zu geben.« Das Surrogat legte die Kiste dem Bürokraten zu Füßen. »Ich soll Ihnen sagen, daß jemand, der kühn genug ist, eine Hexe zu vögeln, auch etwas zur Erinnerung übrigbehalten sollte.«
Das elektronische Grinsen loderte kurz auf wie der helle Wahnsinn. Dann wandte das Surrogat sich ab.
»Ich habe mit Gregorians Vater gesprochen!« rief der Bürokrat. »Richten Sie ihm das ebenfalls aus!«
Das Surrogat ging weiter, ohne sich umzuschauen. Der Wind blähte seinen Regenmantel, und dann war es verschwunden.
Dem Bürokrat war auf einmal unbehaglich zumute. Er bückte sich und hob die Kiste hoch. Sie enthielt irgend etwas Schweres. Er trat wieder auf die Veranda, löste das nasse Öltuch und klappte den Deckel auf.
Im dunklen Innern der Kiste leuchteten Sterne, Schlangen und Kometen. Die Verwesung hatte gerade erst eingesetzt. Die Iridobakterien schlemmten.
Bei seinem Eintreten verstummte das Gelächter in der Küche. »Ich muß Ihnen leider eine unangenehme Mitteilung machen«, sagte eine Stimme. Seine eigene. Der Bürokrat legte die Kiste auf den Küchentisch. Als sich ein kleines Mädchen, das ein rotes Evakuierungshalstuch mit
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