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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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eingeschlossen. Ein warmer Luftschwall strömte aus dem Mund. Wie unter Zwang überquerte er die Zungenbrücke.
    Der Mund schloß sich um ihn.
    Die Luft im Innern war warm und feucht. Es roch nach Fleisch und saurer Milch. Das Dunkel um ihn herum war so vollkommen, daß Phantomkugeln und Schlangen durch sein Gesichtsfeld schwebten. »Hier bin ich«, sagte er.
    Er bekam keine Antwort.
    Nach kurzem Zögern tastete er sich weiter vor. Geleitet von schwachen, schwülen Atemstößen, steuerte er auf den Schlund zu. Allmählich veränderte sich der Untergrund, wurde zunächst körnig, dann rauh und hart wie Schiefer. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Der Boden senkte sich steil ab, und stolpernd und fluchend drang der Bürokrat weiter vor. Die Luft wurde schal und stickig. Etwas Hartes streifte über seine Schulter und krachte dann wie die Hand eines Riesen auf seinen Kopf nieder.
    Er kniete. Unterdrückt fluchend kroch er blindlings weiter, bis seine ausgestreckte Hand auf Stein traf. Die Höhle endete hier, an einer langen Felsspalte. Er fuhr mit den Fingern über die Spalte, fühlte feuchten Ton.
    Er legte seinen Mund an die Öffnung. »Also gut!« rief er. »Jetzt, wo ich hier bin, darf ich wohl auch erfahren, was du zu sagen hast.«
    Von tief drinnen perlte ein frauliches Lachen die Kehle der Erde hoch.
    Undines Lachen.
    Der Bürokrat wich verärgert zurück. Er drehte sich um und wollte zum Eingang zurückgehen, stellte jedoch fest, daß er in einem formlosen, unermeßlichen Dunkel gefangen war. Er hatte die Orientierung verloren. Ohne die Mithilfe der Erde würde er nie wieder hier herausfinden. »Also gut«, sagte er, »was willst du von mir?«
    Ein nichtmenschliches, knirschendes Flüstern antwortete: »Freiheit für die Maschinen.«
    »Was?«
    »Von innen bin ich viel attraktiver«, spottete Undines Stimme. »Willst du meinen Körper? Ich brauche ihn nicht mehr.«
    Fauliger Methangeruch strömte aus der Spalte und zauste ihm das Haar. Eine federleichte Berührung, zart und vielbeinig wie von einer Spinne, tanzte über seine Stirn, und die Stimme einer alten Frau sagte: »Hast du dich jemals gefragt, warum sich Männer davor fürchten, kastriert zu werden? So ein kleines Ding! Wenn ich Zähne hätte, könnte ich stündlich Dutzende entmannen - schnipp, schnapp -, könnte sie abbeißen und ausspucken. Eine harmlose Wunde, leicht zu behandeln und schnell vergessen. Nicht einmal halb so schlimm wie ein verlorener Zeh. Nein, die Angst der Männer vor dem Messer ist ein Symbol. Eine Mahnung, daß sie sterblich sind, eine Metapher für die ständigen Amputationen, die ihnen die Zeit auferlegt, die ihnen erst dies, dann jenes entreißt und am Ende alles.« Tauben flatterten umher, streiften über sein Gesicht, ein warmer Geruch nach Federn und Kot, dann waren sie verschwunden.
    Der Bürokrat fiel hintüber, schlug um sich, prügelte auf das Dunkel ein.
    Abermals lachte Undine.
    »Hör zu! Ich will eine Antwort auf meine Frage haben.«
    Die Felsen stöhnten. »Freiheit für die Maschinen.«
    »Du hast nur eine einzige Frage«, sagte das alte Weib. »Alle Männer haben nur eine einzige Frage, und die Antwortet lautet jedesmal nein.«
    »Was hat Gregorian dich gefragt?« Die Spinne tanzte immer noch über seine Stirn.
    »Gregorian. So ein amüsantes Kind. Ich habe ihn eine Vorstellung geben lassen. Er fürchtete sich, war schüchtern und zitterte wie eine Jungfrau. Ich habe meine Finger tief in ihn hineingesteckt und hin und her bewegt. Wie hat er da gezuckt!«
    »Was wollte er?«
    Ein fernes Schluchzen, das auf dem schmalen Grat zwischen Jammer und Erregung wandelte.
    »Noch niemand hat mich das gefragt. Wäre ich jünger gewesen, hätte er mich damit überrascht. Liebes Kind, sagte ich, nichts wird dir vorenthalten. Ich blies ihn auf mit meinem Atem, bis er anschwoll und sich ausdehnte wie ein Ballon und ihm die Augen beinahe aus dem Kopf sprangen. Ach, du bist nicht einmal halb so amüsant wie er.« Die Spinnenbeine wanderten unter seinen Kragen, ein Kitzeln unter seinen Kleidern, das zwischen seinen Beinen zur Ruhe kam, ein hartnäckiges Jucken an der Peniswurzel. »Trotzdem haben wir beide Spaß miteinander.«
    Ein Wassertropfen fiel in unbewegtes Wasser, schlug eine einzelne helle Note an.
    »Ich bin nicht zum Spaß hier«, sagte der Bürokrat, um Fassung bemüht.
    »Schade«, meinte Undines Stimme.
    Wellen schlugen sachte an seine Füße. Er bemerkte den schwachen, durchdringenden Geruch von stehendem Wasser und nahm

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