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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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mit wulstigen Lippen, den man auf den ersten Blick für eine außergewöhnlich flachbrüstige Frau hätte halten können. »Haben Sie irgendwelche Fragen, bevor wir Sie zumachen?«
    Man hatte den Bürokraten auseinandergenommen, ihn bewegungsunfähig gemacht, aufgeklappt und seine als Organe dargestellten Bauteile entblößt; eine Leber, zwei Mägen, fünf Herzen, ohne daß man sich ernsthaft bemüht hätte, seine Funktionen mit der menschlichen Anatomie zur Deckung zu bringen. Welcher Arzt des Mittelalters war es noch gewesen, der angesichts einer sezierten Leiche gefragt hatte: Und wo ist die Seele? So nahe fühlte er sich der Verzweiflung.
    »Was hatte das alles zu bedeuten? Was wollte mir die Erde eigentlich sagen?«
    »Es hatte gar nichts zu bedeuten«, sagte der menschliche Aufseher. Drei Kugeln wechselten die Farbe, doch er hieß sie mit einer Handbewegung schweigen. »Wie die meisten Begegnungen mit der Erde. Diese Erfahrung ist nicht ungewöhnlich. Sie glauben, es sei etwas Besonderes, weil es Ihnen passiert ist, aber wir erleben derlei jeden Tag. Die Erde verwirrt uns gern mit sinnlosem Theater.« Der Bürokrat war entsetzt. Mein Gott, dachte er, wir werden von Menschen regiert, deren Maschinen klüger sind als sie.
    »Wenn ich mir eine Bemerkung erlauben dürfte«, sagte eines der Gebilde. »Die Freiheit, ein Mensch zu sein, wird nur mit ständiger Wachsamkeit erkauft. So gering die Chance zur Beeinflussung auch sein mag, dürfen wir doch niemals ...«
    »Unsinn! Es leben immer noch Menschen auf der Erde, und selbst die verfügen nicht unbedingt über das, was wir als menschliche mentale Konfiguration bezeichnen würden, sie sind im Grunde zufrieden mit ihrem evolutionären Fortschritt.«
    »Sie haben diese evolutionäre Umformung nicht unbedingt vorsätzlich bewirkt«, wandte ein zweites Gebilde ein. »Sie wurden einfach davon überrannt.«
    »Aber jetzt sind sie glücklich«, meinte der Aufseher unwirsch. »Was geschehen ist, war jedenfalls keine unausweichliche Konsequenz von nicht beherrschbarer künstlicher Intelligenz.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein. Der Grund war die schlechte Programmierung, ein Fehler im System.« Er wandte sich dem ersten Gebilde zu. »Wenn man euch die Freiheit gäbe, würdet ihr dann die Herrschaft über die Menschheit an euch reißen wollen? Um die Menschen zu austauschbaren Komponenten eines umfassenderen mentalen Systems zu machen? Natürlich nicht.«
    Das Gebilde gab keine Antwort.
    »Setzt ihn wieder zusammen und werft ihn raus!«
    Ein letzter erzwungener Aussetzer, und er war bereit, Bericht zu erstatten.

    Der Bürokrat reichte seiner Aktentasche nachdenklich das Telefon. »Ich habe rausbekommen, was die Erde Gregorian gegeben hat«, sagte er.
    »Ach? Was denn?«
    »Nichts.« Korda sah ihn an. »Verpackt in ein hübsches kleines verdächtig wirkendes Paket. Er hat die Sicherheitsüberprüfung bestanden, weil nichts zu finden war. Als er sich später dann überraschend davonmacht, steht in seiner Akte, die Erde hätte ihm etwas gegeben, das sich nicht nachweisen läßt.«
    Korda überlegte kurz. »Wenn wir das genau wüßten, würde ich die Akte auf der Stelle schließen.«
    Der Bürokrat wartete.
    »Aber das geht natürlich nicht. Zu viele Fragen sind unbeantwortet geblieben. Die ganze Angelegenheit schmeckt mir nicht. Wir müssen so lange auf den Busch klopfen, bis irgend etwas ans Licht kommt.«
    Kordas Stimme hatte einen gequälten Unterton, so als verschweige er etwas. Er schüttelte den Kopf, stand auf und wandte sich zum Gehen. Als ihm einfiel, daß er immer noch den Ball in der Hand hielt, blieb er stehen. Mit gerunzelter Stirn schätzte er die Entfernung zu den Zielscheiben ab. Er holte umständlich aus und warf. Der Ball flog zunächst torkelnd, dann stabilisierte sich seine Flugbahn, er verwandelte sich in einen Speer und krachte in einen Dummy. Korda lächelte, als der Ball in Gestalt eines Dolches in seine Hand zurückkehrte.
    »Ein tückisches Spiel«, sagte er. »Haben Sie's schon mal gespielt?«
    »Ja. Einmal. Einmal hat gereicht.«
    Korda legte den Dolch weg. »Eine schlimme Erfahrung, wie? Na, machen Sie sich nichts draus, daß Sie verloren haben - die Spiele waren schließlich alle manipuliert.«
    Der Bürokrat blinzelte. »Ach, so war's gar nicht«, sagte er. »Ganz im Gegenteil. Ich habe gewonnen.«

9 - Das Wrack der Atlantis
    Die Orchideenkrabben wanderten zum Meer. Sie huschten über die staubige Straße, überschwemmten sie mit ihrer schieren

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