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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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bullenköpfiger Kellner.
    Er drückte Pouffes Surrogat beiseite, packte den Bürokraten am Rücken und schob ihn nach vom. »He, was zum Teufel ...?« rief Pouffe.
    Der Bürokrat fiel vornüber. Benommen klammerte er sich am Geländer fest. Der Menschenbulle lachte, und der Bürokrat spürte, wie seine Beine von hinten angehoben wurden. Alles kippte, die Bäume hingen in den Himmel hinunter, der Boden schwenkte nach oben. Die Hände umklammerten warm und fest seine Fußgelenke. Dann, auf einmal, waren sie verschwunden.
    Jemand schrie. Ein sengender Schmerz durchfuhr den Bürokraten, als er flach auf den Bauch fiel. Seine Arme waren noch immer mit dem Geländer verhakt. Hilflos schaute er zu, wie der Kellner und Pouffes Surrogat miteinander rangen. Es sah aus, als ob sie tanzten. Der Mann drückte so heftig, daß sich der Bildschirm löste. Er prallte vom Rand der Plattform ab. Die kopflose Maschine duckte sich und wirbelte herum. Beide krachten gegen das Geländer. Holz splitterte und gab nach.
    Sie stürzten über den Rand.
    Surrogate, Kellner und sogar die menschlichen Kunden kamen angerannt und schauten übers Geländer in die Tiefe. Niemand achtete in dem Tumult auf den Bürokraten.
    Langsam richtete er sich wieder auf. Die Beine und das Kreuz taten ihm weh. Ein Knie zitterte. Es fühlte sich feucht an. Er hielt sich mit beiden Händen am Geländer fest und blickte nach unten. Es war ein weiter Weg bis zum Boden. Sein Angreifer lag reglos auf dem zerschmetterten Surrogat. Er wirkte so klein wie eine Puppe. Die Bullenmaske hatte sich gelöst, und das Gesicht kannte der Bürokrat.
    Es war Veilleur - der falsche Chu.
    Der Bürokrat glotzte. Er ist tot, dachte er. An seiner Stelle könnte ich jetzt dort liegen. Eine Metallhand packte ihn beim Ellbogen und zog ihn nach hinten. »Kommen Sie«, meinte Pouffe gelassen. »Bevor man Sie mit dem da unten in Verbindung bringt.«
    Er führte den Bürokraten zu einem vom Laub abgeschirmten Tisch.
    »Sie reisen in flotter Gesellschaft. Können Sie mir sagen, was das eigentlich sollte?«
    »Nein«, antwortete der Bürokrat. »Ich ... ich weiß, wer das war, aber nicht, worum es ging, nein.« Er holte tief Luft. »Ich höre einfach nicht auf zu zittern«, meinte er. Dann: »Ich verdanke Ihnen mein Leben, Krämer.«
    »Das stimmt, das tun Sie. Das kommt von meiner Kampfausbildung, als ich noch ein junger Mann war. Die Scheißsurrogate sind so schwach, es ist fast unmöglich, jemand mit ihnen zu überwältigen. Man muß die Stärke des Angreifers gegen ihn wenden.« Wieder flackerte das blasierte, selbstgefällige Lächeln über den Bildschirm. »Sie wissen ja, wie Sie sich erkenntlich zeigen können.«
    Der Bürokrat seufzte, blickte seine Hände auf der Tischplatte an. Schwache, sterbliche Hände. Er riß sich zusammen. »Hören Sie ...«
    »Nein, Sie hören mir jetzt zu! Ich habe vier Jahre in den Höhlen zugebracht - so nennt man den Militärbunker auf Caliban. Können Sie sich vorstellen, wie es dort war?«
    »Vermutlich ziemlich hart.«
    »Nein, keineswegs! Es war die Hölle. Es geht dort vollkommen menschlich, höflich und unpersönlich zu. Irgendein rotznasiger Techniker stöpselt einen in ein simples Simulationsprogramm ein, schaltet die künstliche Ernährung und ein Programm zur physikalischen Therapie ein, damit der Körper nicht verrottet, und dann läßt er einen allein, eingesperrt in den eigenen Schädel.
    Dort drinnen ist es wie in einem Kloster oder vielleicht in einem hübschen, sauberen Hotel. Nichts, was weh tut oder einen beunruhigt. Sämtliche Emotionen werden gedämpft. Man hat es so behaglich wie ein Säugling an der Mutterbrust. Man fühlt nur Wärme, hört bloß sanfte, angenehme Geräusche. Nichts kann einem geschehen. Nichts kommt an einen heran. Es gibt kein Entrinnen.
    Vier Jahre!
    Wenn man rauskommt, verpassen sie einem eine dreimonatige Intensivrehabilitierung, damit man seinen eigenen Augen wieder traut. Trotzdem wacht man nachts immer wieder auf und glaubt, nicht mehr zu existieren.
    Ich kam dort raus und tauchte unter. Ich schwor mir, ich würde nirgends mehr hingehen, wo ich nicht persönlich hinkonnte. Das war vor einem ganzen Menschenalter, und bis zum heutigen Tag habe ich diesen Schwur gehalten. Verstehen Sie, was ich damit sagen will?«
    »Sie meinen, es sei wichtig für Sie.«
    »Wichtig, da haben Sie verdammt noch mal recht!«
    »Hängen Sie am Leben? Dann geben Sie diese kindlichen Phantasien auf. Die Träume von Korallenpalästen und

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