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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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Schulterriemen geklemmt hatte, war mit einem Hahnenschwanz verziert.
    Chu fixierte ihn so lange, bis er errötete und sich abwandte.
    Ein Fernseher in einer Nische neben dem Tisch zeigte gerade eine Dokumentation über das Brennen der Höhlensiedlungen. Die uralten Aufnahmen zeigten Arbeiter dabei, wie sie frisch gegrabene Tonhöhlen versiegelten. Am Boden der späteren Türen und am hinteren Ende der Tunnel waren schmale Schlitze übriggeblieben. Dann wurde das Holz im Innern angezündet. Rauchsäulen stiegen gen Himmel wie Baumgespenster und verwandelten sich in einen Wald, dessen Blätterdach die Sonne verdeckte. Die Sendung wurde seit der ersten Ausstrahlung auf den Regierungskanälen ständig wiederholt. Niemand sah mehr hin.
    Um die Wände zu glasieren, benötigte man eine Temperatur von ... Der Bürokrat schaltete einen anderen Kanal ein. Mein Bruder ist auf dem Meer umgekommen! Was hätte ich denn tun sollen? Ich bin schließlich nicht sein Hüter, verstehst du.
    »Schauen Sie sich diesen Mist wirklich an?« fragte Chu.
    »Es ist spannend.«
    »Wer ist dieser schmächtige Stiesel?«
    »Tja, das ist eine interessante Frage. Eigentlich sollte er Shelley sein, Edens Cousin - das kleine Mädchen, das das Einhorn gesehen hat, wissen Sie? Aber sie hatte zwei Cousins, eineiige Zwillinge ...« Chu schnaubte. »Gut, ich gebe zu, das klingt unwahrscheinlich. Aber Sie wissen ja, sowas kommt sogar gelegentlich im Inneren Kreis vor. Für diesen Fall gibt es ja die genetischen Markierungstechniken, um sie voneinander zu unterscheiden.«
    Chu hörte gar nicht zu. Sie schaute versonnen in den grauen Regen hinaus. Um sie herum schwatzten die Serviererinnen und Küchengehilfen, die Soldaten und Zivilisten, glücklich und ein wenig schrill angesichts der bevorstehenden Evakuierung, die umfassenden Wandel mit sich bringen würde.
    Also gut! Ja, ich habe ihn getötet. Ich habe meinen Bruder getötet! Bist du jetzt zufrieden?
    »Mein Gott«, sagte Chu. »Das muß der langweiligste Ort im ganzen Universum sein.«

    Mit ausgestreckter Aktentasche balancierte der Bürokrat hinter Chu über den glitschigen Gehsteig. Sie kamen an einer in die Erde gegrabenen Treppe vorbei, die einstmals ein Geländer und Trittbretter gehabt hatte, inzwischen aber zu einer schmalen Schräge und beinahe zu einer Wasserrinne geworden war. »Ich habe auf dem morgigen Heliostaten gute Plätze reservieren lassen«, meinte Chu.
    Der Bürokrat brummte etwas.
    »Kommen Sie. Wenn wir das Schiff verpassen, wird man uns mit einem Viehtransporter fortschaffen.« Sie zupfte gereizt an ihrem Registrierungsarmband. »Sie würden sich wundern, wie's da drauf aussieht.«
    Als vor ihnen eine Kiste auf den Gehsteig krachte, sprangen sie zurück. Die Kiste fiel über den Rand ins Wasser hinunter. Lumpensammler plünderten gerade einen Lagerraum, zertrümmerten geräuschvoll irgendwelche Gegenstände und warfen sie nach draußen. Fast ohne sich in der trägen Strömung von der Stelle zu bewegen, trieb eine Müllspur flußabwärts, die sich dabei allmählich ausdehnte; alte Matratzen, die langsam untergingen, Weidenkörbe und getrocknete Blumen, kaputte Sessel und Fiedeln, auf der Seite liegende Spielzeugsegelboote. Die Lumpensammler brüllten, vollkommen vertieft in die Zerstörung all der Sachen, die sie sich nie hatten leisten können und für die sie die Frachtgebühren nun nicht aufbringen konnten.
    Sie gelangten zu einem Laden, über dessen Tür ein verwittertes Schild hing, auf dem ein silbriges Gerippe dargestellt war. Das Gate war der einzige legitime Geschäftszweck, obwohl jedermann wußte, daß sich dahinter ein Puff verbarg. »Wo bleibt eigentlich der Flieger?« fragte der Bürokrat. »Noch immer keine Nachricht vom Steinernen Haus?«
    »Nein, und mittlerweile darf man wohl davon ausgehen, daß da auch nichts mehr kommen wird. Hören Sie, wir sind jetzt schon so lange hier, daß ich allmählich Moos ansetze. Wir haben unser möglichstes getan, die Spur ist kalt. Was würde uns ein Flieger schon nützen? Wir sollten aufgeben.«
    »Ich werde mir Ihren Rat durch den Kopf gehen lassen.« Der Bürokrat betrat den Laden. Chu blieb draußen.

    »Es ist lange her, seit ich zum letztenmal hier war«, sagte der Bürokrat. Kordas Wohnung war weitläufig für eine Stadt, in der Wohnraum in direkter Beziehung zum Reichtum stand. Der Grasboden war in gestaffelten Ebenen angeordnet, und die stattliche Anzahl der in die rechtwinkligen Wände eingelassenen Steingeräte wurde

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