In Zeiten der Flut
indirekt beleuchtet von Spots, die an rotierenden Porphyrsäulen angebracht waren. Alles war peinlich sauber. Selbst die zwergwüchsigen eingetopften Kirschbäume waren in spiegelsymmetrischen Paaren angeordnet.
»Sie sind auch jetzt nicht hier«, erwiderte Korda unsentimental. »Warum belästigen Sie mich zu Hause? Konnte das nicht warten, bis ich wieder im Büro bin?«
»Im Büro sind Sie mir ausgewichen.«
Korda runzelte die Stirn. »Unsinn.«
»Verzeihen Sie.« Ein Mann mit einer weißen Porzellanmaske betrat den Raum. Er trug ein loses Wickelkleid im Stil der Welten des Deneb-Systems. »Die Abstimmung erfolgt in Kürze, und Sie werden gebraucht.«
»Sie warten hier.« Am Durchgang zum Nebenzimmer zögerte Korda und fragte den Mann mit der Maske: »Kommen Sie denn nicht mit, Vasli?«
Das augenlose weiße Gesicht sah zu Boden. »Es geht um meinen Sitz im Komitee. Wahrscheinlich ist es für alle Beteiligten am besten, wenn ich solange warte.«
Der Deneber schwebte zur Zimmermitte, wo er reglos verharrte. Seine Hände waren unter den Ärmeln des Wickelkleids verborgen, sein Kopf wurde von der Kapuze verhüllt. Er wirkte kaum menschlich, seine Bewegungen waren zu anmutig, seine Reglosigkeit zu vollkommen. Unvermittelt wurde dem Bürokraten bewußt, daß er es hier mit der seltensten aller Wesenheiten zu tun hatte, nämlich mit einem permanenten Surrogat. Ihre Blicke trafen sich.
»Ich mache Sie nervös«, meinte Vasli.
»Aber keineswegs. Es ist bloß ...«
»Sie finden meine Erscheinung bloß verstörend. Ich weiß. Es gibt keinen Grund, sich von übertriebenem Taktgefühl zur Unaufrichtigkeit verleiten zu lassen. Ich glaube an die Wahrheit. Ich bin ein demütiger Diener der Wahrheit. Stünde es in meiner Macht, gäbe es weder Lügen noch Ausflüchte, nichts Geheimes oder vor der Allgemeinheit Verborgenes mehr.«
Der Bürokrat trat an die Wand und betrachtete eine Kollektion von steinernen Speerspitzen; Fischspitzen von Miranda, Vogelspitzen von der Erde, Wurmspitzen von Govinda. »Verzeihen Sie, wenn ich taktlos sein sollte, aber Ihren radikalen Äußerungen nach könnte man fast annehmen, Sie seien ein Verfechter der bedingungslosen Informationsfreiheit.«
»Das kommt daher, daß ich einer bin.«
Der Bürokrat hatte das Gefühl, einem mythischen Tier begegnet zu sein, einem sprechenden Berg etwa oder Edens Einhorn. »Ach, wirklich?« fragte er dümmlich.
»Selbstverständlich. Ich habe meine Welt aufgegeben, um mein Wissen mit Ihrem Volk zu teilen. Man muß schon ein Radikaler sein, um sein Leben zu zerstören, finden Sie nicht? Um sich ins Exil unter Menschen zu begeben, die sich mit einem unwohl fühlen, die das, was einem am Wertvollsten ist, als Verrat fürchten und die sich anfangs überhaupt nicht dafür interessierten, was ich zu sagen hatte.«
»Gut, aber das Konzept der Informationsfreiheit ist ...«
»Extrem? Gefährlich?« Er breitete die Arme aus. »Sehe ich etwa gefährlich aus?«
»Sie würden jedem uneingeschränkten Zugang zu allen Informationen gewähren?«
»Ja, zu allen.«
»Ungeachtet des Schadens, den sie anrichten könnten?«
»Hören Sie. Sie sind wie ein kleiner Junge, der durchs Tiefland wandert und in einem Damm ein Loch entdeckt hat. Sie stecken den Finger hinein, und für eine Weile ist es gut. Dann steigt das Meer ein wenig an. Das Loch wird an den Rändern bröcklig. Sie müssen die ganze Hand hineinstopfen. Dann Ihren Arm, Ihre Schulter. Kurze Zeit später kriechen Sie ganz ins Loch und verstopfen es mit Ihrem Körper. Wenn es dann noch größer wird, holen Sie tief Luft und blasen sich auf. Trotzdem ist da immer noch das Meer, und es steigt weiter an. Am grundlegenden Problem haben Sie nichts geändert.«
»Was sollten wir Ihrer Meinung nach mit den gefährlichen Informationen tun?«
»Sie beherrschen! Sie kontrollieren!«
»Wie?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich bin bloß ein einzelner Mensch. Aber wenn Sie Ihren Verstand und Ihre Kraft bündeln, anstatt sie zu verplempern beim nutzlosen Versuch ...« Unvermittelt brach er ab. Lange Zeit schaute er den Bürokraten an, als versuchte er seine Emotionen in die Gewalt zu bekommen. Seine Schultern erschlafften. »Verzeihen Sie. Ich lasse meinen Ärger an Ihnen aus. Heute morgen habe ich erfahren, daß mein Original - der Vasli, der ich einmal war, der Mann, der glaubte, so viel mit anderen teilen zu müssen - gestorben ist, und ich bin mit meinen Gefühlen noch nicht im reinen.«
»Das tut mir leid«, sagte der
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