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In Zeiten der Flut

In Zeiten der Flut

Titel: In Zeiten der Flut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Swanwick
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auffällig, sah weg und schaute ihn dann wieder an, als fände er nicht die richtigen Worte. Dann fragte er verwundert: »Warum starren Sie so auf meine Füße?«
    »Oh, einfach so«, sagte der Bürokrat. »Einfach so.«
    Doch selbst dann noch, als er das Surrogat ausschaltete, dachte er: Viele Leute haben Luxusgüter aus anderen Sonnensystemen. Die Robotfrachter verkehren langsam, aber regelmäßig zwischen den Sternen. Gregorians Vater ist nicht der einzige, der Importstiefel trägt.
    Stiefel aus rotem Leder.
    Als er aus dem Gate auftauchte, war es in der Absteige still. Durch die offene Eingangstür sah er, daß es Abend wurde; ein perlmuttfarbenes graues Licht senkte sich herab. Der Rausschmeißer saß auf einem wackligen Stuhl und blickte in den Regen hinaus. Die Tunnel, die nach hinten in die Erde führten, waren lichtlose Löcher.
    Einen Moment lang, in dem sich Angst und Erleichterung mischten, glaubte der Bürokrat, das Lokal sei permanent geschlossen. Dann wurde ihm klar, wie früh es noch war; die Damen hatten wohl noch nicht Dienst.
    »Verzeihen Sie«, sprach er den Rausschmeißer an. Der Mann sah teilnahmslos auf; er war ein rundlicher kleiner Dandy, mit krausem, schütter werdendem Haar, eine lächerliche Erscheinung. »Ich suche eine Frau, die hier arbeitet. Die ...« Er zögerte, als ihm klar wurde, daß er die hier beschäftigten Frauen nur mit den Spitznamen kannte, welche die jungen Soldaten ihnen gegeben hatten, die Sau, die Ziege und die Stute. »Die Große mit dem kurzen Haar.«
    »Werfen Sie doch einen Blick in unser Menü.«
    »Danke.«

    In einem dunklen Eingang neben dem Lokal wartete der Bürokrat auf das Erscheinen der Stute. Er kam sich vor wie ein Gespenst - traurig, stumm und unsichtbar; ein melancholisches Augenpaar, das in die Welt der Lebenden hinausstarrte. Er hatte nicht den Mumm, im Hellen zu warten.
    Hin und wieder kamen Leute aus dem Lokal, und weil dort ein Brettervorsprung den Gehsteig vor dem Regen schützte, blieben die meisten eine Weile dort stehen und faßten Mut, ehe sie dem Wetter trotzten. Einmal blieb Chu fast in Reichweite stehen, in ein neckisches Streitgespräch mit ihrem jungen Verehrer vertieft. » ... alle gleich«, sagte sie. »Du meinst, bloß weil du dieses Ding zwischen den Beinen hast, wärst du ein toller Typ. Also, einen Schniedel zu haben, ist nichts Besonderes. Ich hab selbst einen.«
    Er lachte unsicher.
    »Du glaubst mir nicht? Das ist mein vollkommener Ernst.« Sie holte eine Handvoll Übergangsgeldscheine aus der Tasche. »Möchtest du ein bißchen Geld darauf verwetten? Warum schüttelst du den Kopf? Auf einmal glaubst du mir? Ich werd dir was sagen, ich gebe dir die Chance, dein Geld zurückzugewinnen. Doppelter Einsatz oder nichts, meiner ist größer als deiner.«
    Der Mann zögerte, dann grinste er. »Ist gut«, sagte er. Er nestelte an seinem Gürtel.
    »Immer mit der Ruhe, nicht hier draußen.« Chu nahm ihn beim Arm. »Wir vergleichen sie in Ruhe.« Sie führte ihn weg.
    Der Bürokrat war unangenehm berührt. Er dachte an die Trophäe, die Chu dem falschen Chu abgeschnitten und die sie ihm an dem Tag gezeigt hatte, als sie vom Präparator zurückgekommen war. Sie hatte die Schachtel geöffnet und die Trophäe lachend hochgehalten. »Was wollen Sie damit?« hatte er gefragt.
    »Mir die jungen Fische angeln.« Sie schwenkte sie umher, wie ein Kind, das mit einem Modellheliostaten spielte, dann küßte sie die Luft vor der Spitze und legte die Trophäe in die Schachtel zurück. »Glauben Sie mir, wenn man die süßen jungen Dinger fangen will, gibt es nichts Besseres, als einen großen Schwanz zu präsentieren.«

    Schließlich kam die Stute aus dem Lokal, ohne Begleitung. Sie blieb stehen, um sich die Kapuze des Regenmantels überzustreifen. Er trat vor und räusperte sich mit vorgehaltener Hand. »Ich würde gern Ihre Dienste in Anspruch nehmen«, sagte er. »Aber nicht hier. Ich wohne auf dem alten Schiffsfriedhof.«
    Sie musterte ihn von oben bis unten, dann zuckte sie die Achseln. »In Ordnung, aber dann muß ich dir den Hin- und Rückweg berechnen.« Sie nahm ihn bei der Hand und bewegte den tätowierten Finger hin und her. »Und ich kann nicht die ganze Nacht bei dir bleiben. Um Mitternacht findet eine Totenmesse statt.«
    »Ist gut«, sagte er.
    »Das ist die letzte Messe, und ich will sie nicht verpassen. Es wird für alle gesungen, die jemals in Clay Bank gestorben sind. Es gibt Leute, derer ich gedenken möchte.« Sie nahm seinen

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