In Zeiten der Flut
Arm. »Gehen wir.« Sie war eine unscheinbare Frau, ihr Gesicht war rauh und verwittert wie altes Holz. Er konnte sich vorstellen, daß sie unter anderen Umständen Freunde geworden wären.
Sie stapften schweigend die Flußstraße entlang. Der Bürokrat trug einen Poncho, den seine Aktentasche extra angefertigt hatte. Nach einer Weile bedrückte ihn das Schweigen. »Wie heißt du?« fragte er unbeholfen.
»Willst du meinen richtigen Namen wissen oder den, den ich mir zugelegt habe?«
»Einen von beiden.«
»Arcadia.«
Im Hausboot zündete der Bürokrat eine Kerze an und stellte sie in einen Halter, während sich Arcadia den Schlamm von den Schuhen stampfte. »Es könnte allmählich wirklich mal aufhören zu regnen!« sagte sie.
Das Bündel, das er am Morgen den Lumpensammlern abgekauft hatte, lag noch auf dem Nachttisch. In seiner Abwesenheit hatte jemand die Zudecke zurückgeschlagen und eine einzelne schwarze Krähenfeder aufs Bett gelegt. Er wischte sie auf den Boden.
Arcadia hatte einen Haken gefunden, an dem sie ihren Regenmantel aufhängen konnte. Sie schob das Registrierungsarmband hoch und rieb sich das Handgelenk. »Ich hab davon einen Ausschlag bekommen. Weißt du, was ich glaube? Ich glaube, in ein, zwei Jahren wird der Klunker ein Fetisch sein. Man wird gutes Geld dafür berappen.«
Der Bürokrat warf ihr das Bündel zu und sagte: »Hier. Zieh dich nackt aus und leg das an.«
Sie besah sich das Bündel und zuckte wieder die Achseln. »Ist gut.«
Er holte eine Gartenschere aus der Aktentasche und ging hinaus in den Regen. Draußen war es stockdunkel, und es dauerte eine ganze Weile, bis er den Blumenstrauß beisammen hatte.
Als er zurückkam, hatte Arcadia das Kostüm bereits angelegt. Es war mit orangefarbenen und roten Ziermünzen besetzt und falsch geschnitten. Wenigstens paßte es ihr einigermaßen. Es würde genügen.
»Rosen! Wie hübsch.« Arcadia klatschte wie ein kleines Mädchen in die Hände. Sie drehte sich im Kreis, schwenkte flüssig und magisch das Kostüm. »Na, wie sehe ich aus?«
»Leg dich aufs Bett«, sagte er grob. »Zieh den Rock bis über die Hüfte hoch.«
Sie gehorchte.
Der Bürokrat legte den feuchten Blumenstrauß aufs Bett, Arcadias Haut war bleich wie Marmor in dem trüben Licht, das gewölbte Haar zwischen ihren Beinen dunkel und schattig. Ihr Fleisch sah aus, als ob es sich kalt anfühlte.
Als er seinerseits nackt war, hatte der Bürokrat eine Erektion. Der ganze Raum war erfüllt von Rosenduft.
Beim Eindringen schloß er die Augen. Er öffnete sie erst wieder, als er fertig war.
11 - Mitternachtssonne
Die Luft war voller fliegender Ameisen mit verschwommenen, irisierenden Flügeln, winzige Regenbögen, die sich gegenseitig überlagerten und schwarze Beugungsmuster erzeugten; Kreise und Halbmonde, die entstanden und wieder vergingen, ehe das Auge sich darauf scharfstellen konnte. Der Bürokrat gaffte zu ihnen hoch, und dann waren sie auch schon wieder verschwunden, unterwegs auf ihrem Todesflug zum Meer.
»Das ergibt keinen Sinn«, murrte Chu.
Der Bürokrat trat vom Flieger zurück. »Es ist ganz einfach. Ich möchte, daß Sie so lange nach Süden fliegen, bis Tower Hill hinter dem Horizont verschwunden ist. Dann machen Sie kehrt und fliegen in Bodennähe zurück. Im Osten gibt es am Fluß eine kleine Lichtung. Dort warten Sie auf mich. Das ist kinderleicht.«
»Sie haben mich schon verstanden.«
»Aber ja doch. Ist Ihnen aufgefallen, wie man Sie am Hangar behandelt hat?« Auf der anderen Seite des Landefelds war eine Gruppe von verrosteten, steifen Surrogatarbeitern damit beschäftigt, die Einzelteile des Hangars unbeholfen auf einer Hebeplattform zu verstauen. »Wie sehr sie darauf gedrängt haben, daß wir bis Mittag verschwunden sind? Daß sie uns nicht in der Nähe haben wollten?«
»Ja, und?«
»Dann erklären Sie mir mal, warum jemand zwei Tage vor Einsetzen der Flut ein Flugzeug herschickt, bloß um eine demontierte Lagerhalle abzutransportieren.« Er ließ Chu keine Zeit zum Antworten. »Die hatten Anweisung, mich so schnell wie möglich von hier fortzuschaffen. Ich will wissen, warum.« Er wich in den Schatten der Bäume zurück und hob für den Flieger die Stimme. »Flieg schon los.«
Die Einstiegsluke glitt zu. Die Motoren erwachten zum Leben. Der Flieger war ein hübsches Stück Technik, ein elegantes Modell, wie man es sonst nur auf den schwebenden Welten antraf. Die smaragdgrüne Außenhaut schimmerte in der Triebwerkshitze. Dann glitt
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