INAGI - Kristalladern
Aber die Götter hatten anders entschieden. Sie hatten sein Gelübde akzeptiert und würden ihm den Tod solange verweigern, bis er es erfüllt hatte.
Hass auf die Drachen überschwemmte ihn derart heftig, dass sein ganzer Körper zitterte wie eine überdehnte Bogensehne. Der Zorn überlagerte seine Gefühle, bis sein Denken nur noch von einem einzigen Gedanken beherrscht wurde: zurück in die Berge zu gehen und diese Ausgeburten der neun Höllen zu jagen, bis er seine Seele ausgelöst hatte und die Götter ihm endlich erlaubten, diese Welt zu verlassen.
Doch einen Moment später überkam ihn die Ernüchterung. Rondar hatte seinem Rachedurst und seinem Wunsch nach Erlösung einen wirksamen Riegel vorgeschoben. Sein Seresh hatte genau gewusst, was er tun würde, und es auf die einzige Weise verhindert, von der er annehmen konnte, dass sie Erfolg haben würde.
‚ Ich wünsche mir, dass es nicht nur zu ihrem Besten ist ‘. Das waren Rondars letzte Worte gewesen. Yaren war nicht ganz sicher, was sein Meister damit gemeint hatte. Hatte er seiner Hoffnung Ausdruck verleihen wollen, Yaren möge durch seine neue Aufgabe wieder ins Leben zurück finden? Er lachte freudlos. Falls Rondar wirklich gehofft hatte, dass es für ihn eine zweite Chance gab, hatte er vergebens gehofft. Er hatte zu viel Schuld auf sich geladen, um noch ein Anrecht auf Glück zu haben. Doch für den Moment blieb ihm nichts anderes übrig, als noch eine Weile länger mit seiner Schuld zu leben, um diese Sklavin zu bewachen. Er würde die Aufgabe, die seinem Seresh so viel bedeutet hatte, dass er sogar noch im Sterben daran gedacht hatte, nach besten Kräften fortführen. Das war alles, was er für ihn tun konnte – und es war wenig genug.
Von nebenan drangen die unerträglich süßen Töne einer schwermütigen Melodie ins Zimmer. Yaren schreckte aus seiner Versunkenheit auf. Die Sklavin spielte auf ihrem Instrument. Ein Abschiedslied für Rondar? Zitternd stiegen die Töne in den klaren Abendhimmel. Yaren lief ein Schauder über den Rücken. Seine Augen begannen zu brennen. Eilig schloss er das Fenster, doch dadurch wurde die Musik lediglich ein wenig gedämpft. Während er noch überlegte, ob er sich seine Weste wieder anziehen und durch das Lager laufen oder die Sklavin auffordern sollte aufzuhören, brach die Musik abrupt ab. Er atmete erleichtert auf.
Einige Lidschläge später fiel nebenan etwas zu Boden. Ein dumpfer Knall, ein Geräusch wie der Nachhall einer angeschlagenen Saite, danach Stille. Yaren runzelte die Stirn. War der Sklavin das Musikinstrument aus der Hand gefallen? Er lauschte. Nichts. Sein Unbehagen verstärkte sich. Irgendetwas stimmte nicht. Er trat hinaus auf den Flur und klopfte an die Tür der Inagiri. »He, Mädchen!«
Keine Antwort. Zögernd legte Yaren die Hand auf die Klinke. »Alles in Ordnung?«
Unerwartet gab die Tür unter seinem Druck nach. Die Sklavin saß auf dem Boden, den Rücken gegen das Bett gelehnt. Der Kopf war ihr auf die Brust gesunken. Neben ihr auf den Dielen lagen eine gedrehte weiße Muschel und daneben das Rehime. War das Mädchen eingeschlafen? Unschlüssig blickte Yaren auf sie hinab. Am liebsten wäre er einfach wieder gegangen. Er fragte sich, was Rondar an seiner Stelle getan hätte.
Die Inagiri rührte sich seufzend und hob langsam den Kopf. Ihr Gesicht war nass von Tränen. Yaren zuckte unwillkürlich zurück. Sie sah ihn blicklos an, als würde sie ihn gar nicht richtig wahrnehmen. »Er ist tot«, sagte sie tonlos. In Yarens Hals bildete sich ein Kloß und er schloss einen Moment lang die Augen.
»Mir ist kalt«, murmelte das Mädchen. Sie schien unter Schock zu stehen. Rondars Tod musste sie mehr getroffen haben, als er angenommen hatte.
Mit einigem Widerstreben zog er sie hoch und hievte sie aufs Bett. Sie lag da wie eine Puppe, die Augen starr zur Decke gerichtet. Resigniert schüttelte er die Bettdecke aus und breitete sie über sie. »Schlaf jetzt.«
Auf dem Weg zur Tür hob er das Musikinstrument und die Muschel auf und legte beides auf den Tisch.
* * *
»Ein Picknick?« Kanhiro sah Ozami überrascht an.
Sie nickte eifrig. »Zur nächsten Mondwende nach den Keiko-Rennen. Ich werde alles vorbereiten.«
»Ein Picknick!« rief Kenjin begeistert. »Das haben wir schon ewig nicht gemacht.«
Seiichi grinste. »Manchmal hast du richtig gute Ideen, Nira.«
Ozami lächelte erwartungsvoll. »Dann werdet ihr also kommen?«
Kanhiro zögerte einen Moment, bevor er nickte. Er wollte
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