INAGI - Kristalladern
beinahe.
»Danke.« Rondar sprach jetzt so leise, dass Yaren sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen. »Ich… wünsche mir, dass es nicht nur… zu ihrem Besten...« Seine Worte erstarben in einem erneuten Hustenanfall. Er rang nach Luft. Roter Schaum trat auf seine Lippen.
Yarens Muskeln verspannten sich. Unbewusst drückte er Rondars Hand fester. Neben sich hörte er die Sklavin aufschluchzen. Der letzte Atemzug seines Meisters klang wie ein lang gezogenes Seufzen.
Kapitel XVII – Die Worte, auf die ich gewartet habe
DIE GOHARI beerdigten Rondar und die anderen Gefallenen noch am selben Abend, nachdem sie die Brände bei den Lagerhäusern gelöscht und die Verwundeten versorgt hatten. Telan Rohins Sprengrohre hatten den Amanori herbe Verluste beschert, vielleicht die höchsten seit Beginn der Angriffe. Doch auch unter den Menschen hatte der Kampf seinen Tribut gefordert. Es gab insbesondere unter den Kireshi so viele Verletzte, dass sie kaum alle im Haus des Heilens untergekommen waren.
Für die Gefallenen hatten die Kireshi auf dem Friedhof hinter dem Fort Gruben ausgehoben. Ishiras Blick heftete sich auf die in weiße Leintücher gehüllten Leichname, die nebeneinander auf dem Boden aufgebahrt waren. Insgesamt waren es fünf. Fünf, dachte Ishira . So wenige und doch so viele. Fünf Leben ausgelöscht. Und eines davon ist Rondars.
Die Beerdigungszeremonie war schlicht. Der Lagerkommandant sprach einige kurze Worte, dann wurden die Toten an Seilen in die Gruben hinabgelassen und die Gräber zugeschaufelt. Unter denjenigen, die diese traurige Aufgabe übernommen hatten, befand sich auch Kiresh Yaren. Ishira hatte ihn gebeten, an der Zeremonie teilnehmen und von Rondars sterblicher Hülle Abschied nehmen zu dürfen. Er hatte nur schweigend genickt, das Gesicht eine starre Maske. Sie hätte ihm gern ihr Mitgefühl für seinen Verlust ausgedrückt, ihm gesagt, wie viel Rondar auch ihr bedeutet hatte. Aber sie hatte Angst gehabt, dass er ihre Worte, die Worte einer Sklavin, als Kränkung zurückweisen könnte.
Während Ishira zusah, wie der junge Kiresh mit steifen Bewegungen Erde auf den Leichnam seines Meisters warf, flackerten Bilder durch ihre Erinnerung. Ihre erste Begegnung mit Rondar in Soshime und sein ermutigendes Lächeln. Mit welcher Geduld er ihr das Reiten beigebracht hatte. Ihre gemeinsamen Abende am Lagerfeuer und seine Begeisterung für ihre Musik. Der Nachmittag in Inuyara, als er sie davor bewahrt hatte, ins Gefängnis geworfen zu werden, und ihr danach vom Tod seiner Kinder erzählt hatte…
Nicht ein einziges Mal während der ganzen Zeit ihrer Bekanntschaft hatte Rondar ihr gegenüber den Herrn herausgekehrt, sie niemals verächtlich behandelt. Stets war er freundlich und fürsorglich gewesen und aufrichtig an ihrer Person interessiert. Sie hatte ihm vertraut. Und er ihr ebenfalls. Sie fühlte einen kurzen Stich, als sie daran dachte, wie sie in sein Zimmer eingebrochen war, um die Landkarte zu kopieren, und auf diese Weise sein Vertrauen missbraucht hatte. Doch das war eine Ausnahme gewesen und vielleicht hätte er es sogar verstanden.
Tränen rannen über ihre Wangen. Ich werde Euch vermissen, Kiresh Rondar . Ihn als Freund zu bezeichnen wäre zu weit gegangen, aber zum Schluss war ihre Beziehung einer Freundschaft so nahe gekommen, wie es zwischen Inagiri und Gohari überhaupt möglich war.
* * *
Reglos stand Yaren am offenen Fenster, die Finger vergessen auf den Verschlussbändern seines Hemdes. Sobald der erste Schock über Rondars Tod gewichen war, hatte ihn die Verzweiflung übermannt. Er hatte das Gefühl, schwarze Fluten würden über ihm zusammenschlagen und ihm die Luft zum Atmen nehmen. Wieder und wieder durchlebte er im Geiste die letzten Momente seines Meisters, fühlte seine eigene Hilflosigkeit. Der Gedanke, erneut versagt zu haben, peinigte ihn, obwohl sein Verstand ihm sagte, dass er nichts hatte tun können, um das Geschehen zu verhindern. Er war zu weit weg gewesen und es war alles zu schnell gegangen.
Mit zitternder Hand fuhr er sich über die Lider, als könnte er die quälenden Bilder auf diese Weise verscheuchen. Warum? Warum ausgerechnet Rondar? Es hatte viele Verletzte gegeben, aber im Verhältnis nur wenige Tote. Warum musste ausgerechnet Rondar unter ihnen sein? Warum sein Seresh und nicht er selbst? Er hätte derjenige sein sollen, den die Drachen holten. Sein Leben war ohnehin nichts mehr wert. Er hätte es mit Freuden hingegeben, um Rondar zu retten.
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