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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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Bruder nickte entschieden. Er löffelte seinen Brei langsam und mit zitternder Hand. Selbst diese einfache Handlung verlangte seine gesamte Kraft und Konzentration, aber Ishira wusste, dass er sich nicht von ihr helfen lassen würde. Schweigend aß sie ihren eigenen Busho.
    Als Kenjin die leere Schale auf dem Boden abstellen wollte, fiel sie ihm beinahe aus den verkrampften Fingern. Unwillig runzelte er die Stirn. Um seinen Mund erschien ein entschlossener Zug. Er holte tief Luft und stützte die Arme auf, um sich hoch zu stemmen. Seine Muskeln waren der Belastung jedoch nicht gewachsen und gaben unter seinem Gewicht nach. Er wäre zurückgefallen, hätte Ishira ihn nicht aufgefangen.
    »Was soll das werden?« fragte sie kopfschüttelnd. »Du bist noch nicht in der Verfassung aufzustehen.«
    »Aber Hiro und Togawa kommen gleich«, protestierte er keuchend.
    »Und?« gab sie zurück. »Willst doch etwa in die Mine? Wie stellst du dir das vor? Du kannst nicht einmal alleine aufstehen. Wie willst du da die schweren Körbe tragen?«
    »Aber heute ist die Lotterie«, gab er beinahe verzweifelt zurück. »Ich kann unsere Freunde doch nicht allein gehen lassen.« Eine Träne kullerte aus seinem Augenwinkel.
    Ishira nahm sein Gesicht in ihre Hände. »Sei doch vernünftig, Kenjin«, beschwor sie ihn. »Wenn du hier bleibst, hilfst du ihnen viel mehr, als wenn sie sich dauernd Sorgen um dich machen müssen.«
    Wie aufs Stichwort klopfte es an der Tür. » Koshi , ihr beiden.« Gefolgt von seinem Vater, betrat Kanhiro den Wohnraum. »Wie geht’s dir heute, Kleiner?« fragte er, bevor Ishira etwas erwidern konnte, und hockte sich neben ihren Bruder.
    Kenjin fuhr sich rasch mit dem Ärmel über die Augen, um die Tränen abzuwischen. »Es geht mir gut. Aber Nira will mich nicht aufstehen lassen.«
    »Und damit hat sie völlig Recht, Kenjin«, sagte Togawa, der hinter seinem Sohn stehengeblieben war, ernst.
    »Aber wer soll euch denn dann als Träger begleiten?« beharrte Kenjin störrisch.
    »Mach dir darüber mal keine Gedanken, heute wird sowieso alles drunter und drüber gehen«, erwiderte Kanhiro. »Du bist bei weitem nicht der einzige, der nicht einsatzfähig ist.«
    Ishira folgte einer spontanen Eingebung. »Wenn der Anreshir es erlaubt, könnte ich mit euch kommen.«
    Drei Augenpaare wandten sich ihr zu.
    »Aber du bist doch Sortiererin«, wandte ihr Bruder zweifelnd ein.
    Ihr Freund hingegen lächelte. »Mit der Idee könnte ich mich anfreunden und Bilar wird wohl nichts dagegen haben. Er ist vermutlich froh, wenn er ein Problem weniger zu lösen hat. Aber macht es dir wirklich nichts aus, Shira? Du hast dich unter Tage nie besonders wohl gefühlt.«
    Sie zuckte mit den Schultern. »Ist ja nur für ein oder zwei Tage.«
    Der Gesichtsausdruck ihres Bruders verriet gleichermaßen Erleichterung und Enttäuschung, dass sich so schnell Ersatz für ihn gefunden hatte. Schließlich überwog die Erleichterung. »Wenn Nira geht, ist es wohl in Ordnung«, sagte er gönnerhaft.
    Ishira sammelte das Frühstücksgeschirr ein und versenkte es im Spülbottich. Sie würde es heute Abend abwaschen. »Kommst du allein zurecht, Ken, oder soll ich Yuriko Bescheid sagen?« Yuriko war eine der älteren Frauen, die sich tagsüber um die Kinder und Kranken kümmerten. Wie die meisten Dorfbewohner wechselte sie mit Ishira nicht mehr Worte als nötig, aber glücklicherweise hatte sie ihre Ablehnung nicht auf Kenjin übertragen.
    »Ich komm‘ schon klar.«
    Kanhiro legte ihrem Bruder eine Hand auf die Schulter, bevor er sich erhob. »Lass es ruhig angehen, in Ordnung?«
    Kenjin nickte. Einen Augenblick sah er so aus, als wollte er noch etwas sagen, doch dann blickte er ihnen bloß unglücklich nach.
    Als sie nach draußen traten, schlug Ishira feuchte Luft entgegen. In der Nacht musste es wieder geregnet haben. Der Boden war schlammig und sie gab Acht, nicht in eine der großen Pfützen zu treten. Doch der viele Regen hatte auch etwas für sich. Weil das Stroh mit Wasser vollgesogen war, hatten die Drachenblitze keines der Dächer entzünden können. Bis auf einige zerrissene Fenster und die Spuren der Verwüstung auf dem Versammlungsplatz sah das Dorf unbeschädigt aus. Trotzdem stand den Bewohnern der Schock über den gestrigen Angriff noch ins Gesicht geschrieben.
    Am Tor trafen sie auf Kioges Tochter Rei und ihren Mann Ikuro, die mit zwei anderen Paaren beisammenstanden. Rei hatte verquollene, rotgeränderte Augen. Sie musste die ganze Nacht

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