INAGI - Kristalladern
gärte es nicht nur in Soshime…
Jetzt war ihr klar, weshalb ihr Begleiter ihr nicht hatte antworten wollen. Umso mehr erstaunte es sie, dass er es doch getan hatte.
Die Aufstände mussten mit den verlängerten Arbeitstagen zusammenhängen. Offenbar hatten die Gohari das Fass damit endgültig zum Überlaufen gebracht. Kanhiros Saat würde auf fruchtbaren Boden fallen. Nur würden die Eroberer jetzt umso wachsamer sein.
Aber was hatten die Unruhen mit ihr zu tun? Hatte der Hemak Angst, sie könnte die Bewohner Soshimes aufstacheln? Oder dass bereits eine unbedachte Äußerung das Fass auch hier zum Überlaufen bringen könnte? Sie verzog sarkastisch die Mundwinkel. Wenn der Hemak wüsste, dass es dazu keines falschen Worts von ihr mehr bedurfte…
Abrupt wandte ihr Begleiter sich vom Fenster ab und sah sie durchdringend an. »Ich hoffe, du planst nicht wieder irgendeinen Unfug«, warnte er sie.
Beinahe hätte Ishira aufgelacht. Lässt mir der Hemak denn eine Wahl? Sie erwiderte den Blick des Kiresh, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich werde mich an die Anordnung halten, Deiro«, versprach sie.
»Gut.« Er ging zur Tür, sichtlich erleichtert, die Angelegenheit hinter sich gebracht zu haben.
Nachdem er das Zimmer verlassen hatte, stand Ishira auf und nahm seinen Platz am Fenster ein. Sie drehte den Riegel zurück und zog den Fensterflügel auf. Tief atmete sie die frische Luft ein und starrte dabei in den klaren Nachthimmel. Nun war sie endlich wieder zu Hause und jetzt das! Zu wissen, dass Kanhiro und ihr Bruder nur einen Steinwurf entfernt auf sie warteten und doch unerreichbar waren, machte sie verrückt. Warum bestraften die Götter sie so?
Verzweifelt presste sie ihr Gesicht an das kühle Holz des Fensterrahmens. Jammern half ihr nicht weiter. Was sie brauchte, war ein Plan. Sie musste Kanhiro unbedingt treffen, ohne dass Kiresh Yaren danebenstand. Schließlich konnte sie ihrem Freund die Karte nicht unter den Augen ihres Begleiters geben. Und ganz sicher wollte sie ihn nicht in seiner Gegenwart küssen . Doch ihr blieb nicht viel Zeit. Nicht mehr als ein halbes Zwölft. Bis dahin musste sie sich irgendetwas einfallen lassen.
Als sie am folgenden Morgen in Begleitung des Kiresh das Minengelände betrat, war die Lotterie wie gewöhnlich bereits beendet. Auf der Suche nach ihrem Bruder und Kanhiro ließ Ishira ihre Blicke über die Bergleute wandern, die mit ihren Werkzeugen dem Eingang zustrebten. Sie entdeckte die Beiden schließlich direkt neben dem Tor. An der Art, wie Kenjin ungeduldig von einem Bein aufs andere trat, erkannte sie, dass sie auf jemanden warteten. Trotz des Knotens in ihrem Magen, der sich seit gestern Abend nicht aufgelöst hatte, verzogen sich ihre Lippen zu einem winzigen Lächeln. Diesmal konnte sie Kanhiro und ihn nicht überraschen. Die Lotterie hatte ihnen bereits verraten, dass sie zurück war.
Kenjin hatte sie jetzt auch gesehen. Seine Augen leuchteten auf. »Nira!« Er konnte nicht abwarten, bis sie ihn erreicht hatte, sondern kam ihr die letzten Schritte entgegengelaufen. »Ich wollte es erst gar nicht glauben, als Bilar uns heute Morgen zusammengerufen hat«, grinste er. Seine Stimme erschien ihr tiefer, als sie sie in Erinnerung hatte. »Aber du bist wirklich hier!«
Er machte Anstalten, sich in ihre Arme zu werfen, doch nach einem Blick auf ihren Begleiter – trotz allem konnte sie sich nicht dazu durchringen, ihn als ‚Aufpasser‘ oder gar ‚Wächter‘ zu bezeichnen – blieb er stehen, wo er war. Offenbar war es ihm zu peinlich, seine Gefühle vor dem Gohari allzu deutlich zu zeigen. Ishira spähte aus dem Augenwinkel zu Kiresh Yaren hinüber. Er musterte Kenjin ausdruckslos, als versuchte er einzuschätzen, ob von ihm Ärger zu erwarten war, machte jedoch keine Anstalten, das Gespräch zu unterbinden. Offenbar war es ihm ernst damit gewesen, dass sie zumindest mit ihrer Familie sprechen konnte, solange er dabei war.
Sie lächelte ihren Bruder liebevoll an und streckte ihre Hand nach seiner Wange aus – bemüht, sich ihre niedergedrückte Stimmung nicht anmerken zu lassen. Überrascht registrierte sie, dass seine Stimme nicht das einzige war, das sich verändert hatte. Sein Kinn wirkte kantiger als bei ihrem letzten Aufenthalt und seine Wangenknochen ausgeprägter. Selbst seine Schultern schienen breiter geworden zu sein. Sie hatte ihn irgendwie… kindlicher in Erinnerung. Doch es war nicht zu übersehen, dass er langsam zum Mann reifte. »Du bist ja richtig
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