INAGI - Kristalladern
war seine Neugier ungebrochen. »Wie hast du deinen neuen Bewacher dazu gebracht, dich gehen zu lassen?« wollte er wissen. »Der sah mir nach einem scharfen Hund aus.«
Bei der Erwähnung von Kiresh Yaren fuhr Ishira zusammen. Sie hatte keine Ahnung, was er tun würde, falls er ihr Verschwinden entdeckte, und sie wollte es auch lieber nicht herausfinden. Bevor sie antworten konnte, richtete sich Kenjins Blick auf ihre Schrammen. Zwischen seinen Brauen erschien eine steile Falte. »Schlägt dich der Kerl etwa?« fragte er mit gefährlich schmalen Augen. Sie schüttelte rasch den Kopf.
»Deine verrückte Schwester ist über die Palisaden gestiegen«, klärte Kanhiro ihn auf, während er aufstand und sich fertig anzog. »Deshalb ist sie so zerschunden.«
Ihrem Bruder klappte die Kinnlade herunter. »Ehrlich? Alle Achtung, Nira!«
Kanhiro warf ihm einen strafenden Blick zu. »Was Ishira getan hat, war unverzeihlich leichtsinnig.« Doch als er sich ihr wieder zuwandte und ihr die Hand hinstreckte, um ihr aufzuhelfen, grinste er. Schwungvoll zog er sie vom Boden hoch. »Trotzdem bist du absolut anbetungswürdig.«
Kapitel XXII – Verraten
KANHIRO hielt noch immer Ishiras Hand, als sie Seite an Seite ins untere Stockwerk stiegen. Seine Freundin warf einen Blick über die Schulter. Ihr Bruder war in seiner eigenen Kammer verschwunden, um sich sein Hemd zu holen. »Hast du Kenjin eigentlich schon in deine Pläne eingeweiht?« fragte sie flüsternd.
Er schüttelte den Kopf. »Noch nicht«, erwiderte er ebenso leise. »Ich wollte damit eigentlich noch eine Weile warten. Aber wir können ihn jetzt nicht gut wegschicken, oder?«
Schon polterte der Junge hinter ihnen die Treppe herunter, als wollte er sich keinen Moment mit seiner Schwester entgehen lassen. »Was tuschelt ihr Beiden denn da?« rief er neckend.
Sein Versuch, sich das Hemd überzustreifen, während er immer zwei Stufen auf einmal nahm, endete damit, dass er die letzte Stufe übersah und ins Stolpern geriet. Kanhiro bekam ihn gerade noch zu packen, bevor er kopfüber gegen die Wand fiel. »Wann lernst du endlich etwas Umsicht?« fragte er kopfschüttelnd.
Kenjin grinste reuelos. »Nie?«
»Scheint mir auch so.«
Kanhiro ließ Ishira auf der Bank am Herd Platz nehmen und vergewisserte sich, dass der Fensterladen geschlossen war, bevor er einige Holzscheite anzündete, damit sie mehr Licht hatten.
Kenjin begutachtete derweil die Abschürfung am Knie seiner Schwester. »Soll ich dir ein paar Leinenstreifen zum Verbinden bringen, Nira?« fragte er sie.
Ishira folgte seinem Blick. »Wäre vielleicht wirklich besser.« Während er zum Regal hinüberging, zog sie ein Stück Stoff aus ihrem Ausschnitt. »Ich habe hier etwas für dich, Hiro«, sagte sie. »Aber zuerst solltest du Ken sagen, worum es geht.«
»Was soll Hiro mir sagen?« fragte ihr Bruder sofort, als er mit einer Schüssel voll Wasser und dem Verbandszeug zurückkehrte.
Anstelle einer Antwort nahm Kanhiro ihm die Schüssel aus der Hand. Doch als er nach den Leinenstreifen greifen wollte, schüttelte Ishira entschieden den Kopf und streckte fordernd die Hand aus. »Lass nur, das mache ich selbst. Rede du lieber mit Ken.«
»Na schön.« Er stellte das Wasser neben ihr auf der Bank ab und drehte sich zu ihrem Bruder um, der ihn erwartungsvoll ansah. Eine Hand im Nacken überlegte er, wie er anfangen sollte. »Hör zu, Kenjin«, sagte er schließlich. »Tasuke und ich sind der Ansicht, dass wir uns lange genug von den Gohari haben knechten lassen. Um es kurz zu machen: Wir bereiten einen Aufstand vor.«
Ishiras Bruder schnappte nach Luft. »Ihr wollt die Gohari angreifen?« fragte er fassungslos.
Kanhiro nickte. »Genau das. Und deshalb hatte ich deine Schwester beim letzten Besuch gebeten, mehr über die anderen Siedlungen und unsere Gegner in Erfahrung zu bringen.«
Unvermittelt verengten sich Kenjins Augen. »Ihr plant das also nicht erst seit gestern«, bemerkte er gekränkt. »Warum hast du mir nichts gesagt, Hiro? Hältst du mich für ein Kind, dem man nichts Wichtiges anvertrauen kann?«
Unbehaglich rieb Kanhiro sich die Nase. Es war genau wie beim letzten Mal, als sie ihm Ishiras Fähigkeit verschwiegen hatten. War er selbst in diesem Alter auch so empfindlich gewesen? »Darum geht es nicht«, versuchte er Ishiras Bruder zu beschwichtigen. »Wir hielten es lediglich für sicherer, die Sache für uns zu behalten, bis wir einen konkreten Plan haben.«
Kenjin zog die Nase hoch. »Ich
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