INAGI - Kristalladern
angegriffen haben.«
Kanhiros Vater legte wie zum Gebet die Hände zusammen. »Den Göttern sei Dank.« Er sah Ishira an. »Und dir, Ishira. Ich stehe für immer in deiner Schuld.«
Sie warf eine Handvoll Eboblätter in die Teekanne. Die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. »Jetzt fang du bitte nicht auch noch an, Togawa!«
»Und ich habe noch darauf beharrt, Hiro zu begleiten«, stöhnte Kenjin. »Ich bin so froh, dass ihr es mir ausgeredet habt.«
Kanhiro war erleichtert, dass Ishiras Bruder so in Gedanken versunken war, dass ihm nicht auffiel, wie wenig überrascht Togawa von ihrer Gabe war. Er hatte einfach nicht anders gekonnt, als seinen Vater in das Geheimnis einzuweihen, aber im Gegensatz zu seiner Freundin hatte er auch nicht befürchten müssen, dass Togawa sich verplapperte. Dennoch hatte er Kenjin gegenüber ein schlechtes Gewissen gehabt. Es war gut, dass sie auch dem Jungen endlich die Wahrheit hatten sagen können.
Ishira seufzte. »Was ist, wenn der Hemak zu viel von mir erwartet?« fragte sie zaghaft. »Wenn ich der Aufgabe, die er mir übertragen hat, nicht gewachsen bin? Immerhin habe ich Shigen bisher erst ein einziges Mal vorhergesehen.«
»Aber du hast das Raunen doch jeden Tag gehört«, beruhigte Kanhiro sie. »Mach dir nicht so viele Gedanken, Shira. Du kannst es, glaub mir.«
»Aber wenn ich die Energie an anderen Orten nicht spüren kann?«
»Wieso sollte sie in anderen Minen anders klingen als in Soshime?« sagte er vernünftig. »Ich bin mir sicher, dass sie sich überall ähnlich anhört. Du wirst sie schon erkennen.«
Sein Vater nickte. »Vertrau deiner Gabe, Ishira! Sie wird dich nicht im Stich lassen.«
Ishira schwenkte den Topf vom Feuer und goss vorsichtig Wasser in die Teekanne. »Ich hoffe, ihr habt Recht.« Plötzlich glitzerte eine Träne in ihrem Augenwinkel. »Wenn ich doch schon früher gewusst hätte, dass ich die Energie spüren kann. Dann hätte Koru nicht sterben müssen.«
»So darfst du nicht denken, Ishira«, erwiderte Togawa entschieden. »Ich bin sicher, Hagare wäre stolz auf dich. Mit Sicherheit würde er nicht wollen, dass du dich seinetwegen grämst.«
Kenjin hielt seiner Schwester seine Teeschale hin. »Bestimmt freut Koru sich, wenn seine Seele von den Sternen auf dich hinuntersieht, Nira«, murmelte er. Es kam nicht allzu oft vor, dass er seine große Schwester aufheitern musste.
Abgelenkt schenkte Ishira ihm Tee ein und verschüttete dabei einige Tropfen auf seine Hand. Kenjin zuckte zurück. »Au!«
»Tut mir leid!« rief sie erschrocken und wischte die Tropfen rasch mit ihrer anderen Hand fort.
Kanhiro merkte, dass ihre Finger zitterten. Sacht nahm er ihr die Teekanne aus der Hand und stellte sie neben sich ab. Unvermittelt sank seine Freundin in sich zusammen. »Ich will nicht aus Soshime fort«, flüsterte sie erstickt. »Ich will nicht fort von euch .« Jetzt liefen die Tränen ungehemmt über ihre Wangen.
Er sah sie betroffen an. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er zum ersten Mal in seinem Leben auf unbestimmte Zeit von ihr getrennt sein würde. Und dass sie auf eine Reise ins Unbekannte aufbrechen würde. In seinem Innern machte sich Unruhe breit. Als Kinder hatten Ishira, Tasuke und er versucht sich vorzustellen, wie es außerhalb ihres Tals aussehen mochte, aber tatsächlich hatte er nicht annähernd eine Vorstellung davon, was sie erwartete. Seit sechs Generationen hatte niemand mehr Soshime verlassen. Die alten Leute erzählten Schauergeschichten über alle möglichen Gefahren, die angeblich in den Wäldern lauerten. Geschichten, die sie von ihren Eltern und diese wiederum von ihren Eltern gehört hatten. Sicher war einiges davon übertrieben, aber wer wollte sagen, ob es nicht doch stimmte? Eine Gefahr war auf jeden Fall real: die Amanori.
Kanhiro ballte die Fäuste. Die Drachen waren vielleicht nicht einmal die größte Gefahr. Was war mit den Gohari? Ishira würde ihnen schutzlos ausgeliefert sein. Wie leicht konnte einer der Kireshi ihre Situation ausnutzen! »Wer bringt dich zu den anderen Siedlungen?« fragte er bemüht ruhig. »Bilar?«
Ishira schüttelte den Kopf. »Der Bakouran von Kirans Garde wird mich begleiten«, antwortete sie undeutlich und wischte sich die Tränen ab. »Sein Name ist Rondar.«
»Der stellvertretende Kommandant von Kirans eigener Garde?« Kanhiro war verblüfft. »Du musst dem Hemak wirklich wichtig sein!«
»Das sollte sie auch«, warf sein Vater ein. »Schließlich ist Ishira die Einzige,
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