INAGI - Kristalladern
bald zurück, Nira!«
Ishira küsste ihn auf den Scheitel. »Die Zeit wird schneller vergehen, als du denkst. Wahrscheinlich bin ich früher wieder da, als dir lieb ist«, versuchte sie zu scherzen.
Kanhiro legte Kenjin den Arm um die Schultern. »Komm, Kleiner! Lange Abschiede machen nur traurig.«
Er zog ihren Bruder zur Tür. Sein Lächeln, als er sich ein letztes Mal zu ihr umwandte, geriet etwas schief. Dann waren sie fort. Ishira blickte auf die geschlossene Tür, das Rehime an die Brust gepresst. Der Kloß in ihrem Hals war in ihren Magen gerutscht und lag dort wie ein Stein.
Als sie einige Zeit später das Haus verließ, um ihren zukünftigen Begleiter an der Brücke zu treffen, war aus dem Kloß ein nervöses Kribbeln geworden. Sie trug nur ein kleines Bündel bei sich, das ihr zweites Mihiri, ihren Kamm, Nähzeug und einige wenige Münzen enthielt. Inzwischen würden auch die letzten Bergleute in den Minen sein. Ein feiner Nieselregen fiel. Ishira zog ihren Überwurf fester um sich und beschleunigte ihre Schritte.
Der Bakouran erwartete sie bereits. Er lehnte am Brückengeländer und blickte versunken hinaus auf den Fluss, wie Kanhiro und sie selbst vor wenigen Tagen. Neben ihm waren zwei gesattelte Pferde am Pfeiler angebunden. Das größere war ein kräftiges braunes Tier, das ungeduldig mit den Hufen scharrte. Das kleinere, graue Pferd drehte aufmerksam die Ohren nach vorn, als sie näher kam. Ishiras Herz machte vor Schreck einen Satz. Sollte sie etwa reiten?
Beim Geräusch ihrer Schritte drehte sich der Gohari um. Ishira bemühte sich, ihre Aufregung zu verbergen und verneigte sich. »Guten Morgen, Deiro.«
»Guten Morgen«, erwiderte er ihren Gruß. »Ich hoffe, dieser Aufbruch kommt für dich nicht allzu überstürzt.«
»Nein, Deiro«, versicherte sie rasch. Was sollte sie auch sonst sagen? Ihr tatsächliches Befinden interessierte ihn sowieso nicht.
»Wie heißt du, Mädchen?« fragte er. »Der Anreshir konnte mir deinen Namen nicht sagen.«
Natürlich nicht. Normalerweise scherten sich die Gohari nicht um die Namen der Bergleute. Sie wunderte sich, dass er danach fragte. »Ishira, Deiro.«
»Du kannst deine Sachen in den Satteltaschen der Grauen verstauen, Ishira. Sie wird in nächster Zeit dein Reittier sein. Ihr Name ist Lesha. Sie ist geduldig und genau das richtige Pferd für eine Anfängerin im Reiten.« Er lächelte leicht. »Das bist du doch, nicht wahr?«
Sie nickte nur, ihrer Stimme nicht sicher. Ihre Anspannung wuchs und überlagerte selbst die Überraschung, dass ein Gohari sie mit Namen anredete. Sie sollte tatsächlich reiten! Obwohl die Stute nicht besonders groß war, erschien sie Ishira riesig. Ihr Mund wurde vor Angst trocken. Sie schluckte und trat zögerlich auf das Pferd zu. Als sie ihr Bündel in die feste Ledertasche hinter dem Sattel stopfen wollte, wie der Bakouran sie angewiesen hatte, schnaubte das Tier plötzlich und wich vor ihr zurück. Vorsichtig streckte Ishira die Hand erneut nach dem Sattel aus, doch die graue Stute begann, unruhig zu tänzeln und die Augen zu verdrehen. Ihr Wiehern klang ängstlich. Hilflos drehte sich Ishira zu dem Gohari um. »Es tut mir leid, Deiro. Mache ich etwas falsch?«
»Pferde sind sehr sensibel«, erklärte der Bakouran. »Lesha merkt, dass du Angst vor ihr hast, und das überträgt sich auf sie. Versuche, sie deine Aufregung nicht spüren zu lassen.«
Das war einfacher gesagt, als getan. Ishira trat langsam einen Schritt vor und versuchte dabei vergeblich sich einzureden, sie hätte keine Angst. Sofort wurde die Stute wieder unruhig. Mit ihrer Nervosität steckte sie jetzt auch noch den Braunen an, der ebenfalls anfing zu tänzeln. Ishira schoss das Blut ins Gesicht. Das fing ja gut an! Wenn das so weiterging, hätte sie sich bei dem Gohari unbeliebt gemacht, bevor sie auch nur aufgebrochen waren. Sie erwartete jeden Moment, dass er sie ungeduldig anfahren würde, doch das Gegenteil war der Fall.
»Was ist los, mein Mädchen?« fragte der Bakouran sanft. Einen verblüfften Augenblick lang glaubte Ishira, er meinte sie, bis sie merkte, dass er mit dem Pferd sprach. Er trat neben die Stute und klopfte beruhigend ihren Hals. »Es ist alles in Ordnung, wovor hast du denn Angst?« Langsam beruhigte sich das Pferd. Es hörte auf zu tänzeln und stupste den Mann mit dem Maul gegen die Brust. »So ist es schon besser.«
Auch der Braune stand jetzt wieder ruhig da. Kiresh Rondar schüttelte den Kopf. »Möchte bloß wissen, was
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