INAGI - Kristalladern
es seinem Seresh nichts auszumachen schien, an seine Tochter erinnert zu werden. Oder wollte Rondar genau das? Suchte er in dem schwarzhaarigen Mädchen Ersatz für Larika, auch wenn sie mit seiner Tochter nicht die geringste Ähnlichkeit besaß? Gegen seinen Willen ertappte Yaren sich dabei, dass er mehr über das Verhältnis zwischen seinem Mentor und dieser Sklavin erfahren wollte. »Ich würde gerne noch ein wenig bleiben, wenn Ihr erlaubt«, sagte er.
Mebilor seufzte. »Ich erlaube es – wider besseres Wissen.«
Es dauerte nicht lange, bis die Inagiri zurückkehrte. In ihren Händen hielt sie ein viersaitiges Holzinstrument mit langem Hals, das in der Tat an die Sihar erinnerte. Yaren versuchte, sich den Klang des Instruments ins Gedächtnis zurückzurufen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Die Sklavin setzte sich zurecht und nahm den Bogen zur Hand. Ihre Haltung wirkte angespannt. Mebilors Diener schenkte derweil Mishuo nach. Als er zu Yaren kam, lehnte dieser dankend ab. Er vertrug Alkohol nicht besonders gut und in seinem geschwächten Zustand blieb er lieber beim Tee.
Die ersten Töne kamen dünn und zittrig, als wäre das Mädchen zu aufgeregt, um den Bogen ruhig zu halten, doch nach einer Weile perlten sie aus den Saiten wie Wasser aus einer Quelle. Sie woben sich ineinander, bis sie den gesamten Raum zu füllen schienen. Die Sklavin hatte die Lider geschlossen und schien vollkommen in ihr Spiel versunken. Doch als hätte sie Yarens Blick gespürt, hoben sich in diesem Moment ihre Wimpern. In ihren mandelförmigen Augen spiegelte sich das Licht der Kristalllampen. Blaue Augen.
Jäh überlagerte ein anderes Gesicht das ihre. Ein liebreizendes Gesicht mit Augen von beinahe derselben blauen Farbe, aber Haaren wie dunkler Honig. Larika in einem himmelblauen, mit hellgrünen Blumen bestickten Gewand auf einer Bank in Rondars Wohnstube, die Sihar auf dem Schoß, wie sie ihn neckisch anlächelte.
Das Bild stach wie ein Messer in Yarens Eingeweide. In seinem Kopf war nur noch Platz für einen einzigen Gedanken: er musste von hier weg! Er sprang so hastig von seinem Stuhl auf, dass ihm schwindelig wurde und er sich an der Tischkante abstützen musste. Die anderen blickten erschrocken auf. Der Bogen der Sklavin kratzte misstönend über die Saiten. »Verzeiht meine Unhöflichkeit«, stieß er abgehackt hervor, »aber ich fühle mich nicht wohl. Ich werde mich doch lieber zurückziehen.«
* * *
Kanhiro hatte eben das geschnittene Gemüse in den Topf geschüttet, als jemand an die Tür klopfte. Überrascht drehte er sich um. Wer mochte das sein? Sie erwarteten für den Abend keinen Besuch.
»Soll ich nachsehen, wer da ist?« Ishiras Bruder bückte sich, um das Geschirr, das er in der Hand hielt, auf der Bank abzustellen.
»Lass nur, ich gehe schon«, entgegnete Kanhiro. »Du kannst das Gemüse umrühren.«
Es klopfte erneut. Draußen stand Tasukes Schwester, eine abgedeckte Schüssel in Händen. Kanhiro glaubte, seinen Augen nicht zu trauen. »Ozami?«
Sie lächelte scheu. »Ich habe euch einige Keijirollen gebracht«, sagte sie, während sie ihm die Schüssel entgegenstreckte. »Du hast doch neulich gesagt, dass du gern mal wieder welche essen würdest, es aber schwierig findest, sie zuzubereiten.«
Er nahm ihr die Schüssel etwas verlegen aus den Händen. »Danke, Ozami. Das… ist wirklich nett von dir.«
Er fühlte sich ein wenig unbehaglich, dass sie für ihn und Kenjin gekocht hatte, nachdem sie seit einiger Zeit bereits die Wäsche für sie beide wusch. Ihre Mutter hatte ihn sogar mehrmals zu überreden versucht, mit ihnen gemeinsam zu essen, aber Kanhiro hatte dankend abgelehnt. Weniger deswegen, weil er bei der Familie seines Freundes nicht noch mehr in der Schuld stehen wollte, sondern weil er es für keine so gute Idee hielt. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, dass Tasukes Mutter ihn mit ihrer Tochter verkuppeln wollte. Er hoffte nur, dass es nicht auch das war, was Ozami wollte. Sie legte es in letzter Zeit auffällig oft darauf an, in seiner Nähe zu sein. Bis vor kurzem hatte er eigentlich nie den Eindruck gehabt, dass Tasukes Schwester sich für ihn interessierte, aber vielleicht hatte sich das Mädchen nur zurückgehalten, solange Ishira da gewesen war. Dass Ozami sich in Bezug auf ihn irgendwelche Hoffnungen machte, hätte ihm allerdings gerade noch gefehlt. Sie war ein nettes Mädchen und er wollte sie nicht enttäuschen müssen.
Ihr Lächeln wurde warm. »Gern geschehen.
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