INAGI - Kristalladern
werden.
Ungewollt wanderte sein Blick zurück zu der Inagiri. Sie war sichtlich nervös und spielte unablässig mit ihrem Essbesteck. Ihre Hände waren vom Umgang mit den Kristallen rau und schwielig, dabei jedoch wohlgeformt und feingliedrig wie ihre gesamte Erscheinung. Yaren wusste so gut wie nichts über die ursprünglichen Bewohner der Insel. Es hatte ihn auch nie interessiert. Die Inagiri waren diejenigen, die die Kristalle abbauten. Mehr hatte er gar nicht wissen wollen. Aber wenn dieses Mädchen in der Lage war, die Kristallenergie auch auf Entfernung wahrzunehmen und sich Mebilors Vermutung bewahrheitete, mochte sich ihre Fähigkeit auch im Kampf gegen die Drachen als nützlich erweisen.
Endlich erschien Mebilors Diener und tischte eine Reihe Schüsseln auf, von denen ein appetitlicher Duft aufstieg. Erst jetzt merkte Yaren, wie hungrig er war. Er hatte lediglich gegen Mittag etwas Brühe getrunken. Der Diener wies auf die einzelnen Speisen und erklärte sie kurz.
»So viel Aufwand hättest du wirklich nicht betreiben müssen, Mebilor«, sagte Rondar, doch die Begeisterung in seinen Augen war unübersehbar. Er hatte schon immer eine Schwäche für gutes Essen gehabt.
»Aber gewiss doch!« gab der Heiler lächelnd zurück. »Solch ein doppeltes Wiedersehen will schließlich gefeiert werden! Nur keine Bescheidenheit, greift zu!«
Rondar ließ sich das nicht zweimal sagen und begann mit einigen gebackenen Fleischklößchen, einem Löffel voll eingelegtem Gemüse und einer Scheibe knusprigen Asagibrots. Die Sklavin wartete mit gesenktem Kopf, bis sich die Männer bedient hatten, bevor sie die Speisen mit großen Augen bestaunte. Erst nach einer aufmunternden Geste Rondars wagte sie es schließlich, sich einen Shingei-Spieß in dunkler Sauce auf den Teller zu legen – dieselbe Wahl, die auch Yaren getroffen hatte. Er schlang das zarte Fleisch hinunter, bis er sich daran erinnerte, dass er nicht in der Wildnis an seinem Lagerfeuer saß. Danach zwang er sich dazu, langsamer zu essen und den delikaten Geschmack zu genießen.
Nachdem er seinen Hunger gestillt hatte, kam er auf das Thema zu sprechen, das ihm schon den ganzen Tag unter den Nägeln brannte. »Rondar hat vorhin Eure Forschungen erwähnt, Mebilor«, begann er vorsichtig. »Darf ich Euch fragen, wie Ihr darauf kommt, dass zwischen der Kristallenergie und den Drachenblitzen ein Zusammenhang bestehen könnte?«
Der Telan legte sein Besteck beiseite und tupfte sich den Mund mit der Serviette ab. »So neu ist meine Theorie im Grunde gar nicht«, erwiderte er. »Andere Heiler haben ähnliche Vermutungen schon früher geäußert. Bislang mussten wir nur den Beweis schuldig bleiben. In dieser Hinsicht hat mir der Zufall in die Hände gespielt. Kurze Zeit, nachdem ich die Leitung des hiesigen Hauses des Heilens übernommen hatte, wurde ein Hauer zu mir gebracht, der einen Energieausbruch überlebt hatte. Er zeigte die gleichen Muskelkrämpfe wie die Opfer der Amanori, nur dass sie bei ihm viel stärker ausgeprägt waren. Der Mann starb wenige Tage später, weil sein Herz der Belastung nicht gewachsen war. Ich begann Nachforschungen anzustellen und fand heraus, dass es in den letzten Jahren auch in anderen Siedlungen gelegentlich vorkam, dass ein Hauer nicht sofort starb, sondern erst einige Zeit später. Alle Hauer, von denen mir bekannt ist, zeigten nach den Angaben der Heiler, die sie behandelt hatten, mehr oder minder dieselben Symptome wie die Drachenopfer. Das und die Tatsache, dass die Opfer sowohl der Drachenblitze als auch der Energiewellen von einander vergleichbaren Lichtfäden eingehüllt werden, sprechen dafür, dass es sich bei der Kristallenergie und den Blitzen der Amanori um verwandte Erscheinungen handelt. Meiner Meinung nach sind die Blitze eine abgeleitete Form der Kristallenergie.«
Yaren runzelte die Stirn. »Könntet Ihr das genauer erklären?«
»Aber gern. Die meisten Telani gehen davon aus, dass im Inselinnern Kristalladern oberirdisch verlaufen«, führte Mebilor aus. Das musste sich auf das ominöse Leuchten beziehen, das auch Yaren schon ein oder zweimal beobachtet hatte, als er hoch oben in den Bergen campiert hatte. Nicht wenige Gelehrte vermuteten sogar, dass dieses diffuse Licht etwas mit der Entstehung der Kristallenergie zu tun hatte. »Daraus folgt, dass jedes Mal, wenn eine Welle durch die Adern läuft und Energie freisetzt, ihr alle Lebewesen im Umkreis unmittelbar ausgesetzt sind«, fuhr der Heiler fort. »Wenn die
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