INAGI - Kristalladern
einfach keinen Zweck. Vielleicht war es ja auch so, wie Mebilor gesagt hatte, und ihre Fähigkeit war zu diesem Zeitpunkt noch nicht genug entwickelt gewesen. Falls sie überhaupt ausreichte, um die Energieaura der Amanori wahrzunehmen. Und falls die Theorie des Heilers stimmte.
Leise öffnete Ishira die Tür, um vor dem Frühstück noch ein wenig in den Garten zu gehen und auf andere Gedanken zu kommen. Im Haus war alles ruhig. Als sie in den Wandelgang trat, sah sie jedoch, dass noch ein anderer Gast früh auf war: Kiresh Yaren machte im Garten Schwertübungen. Er war nur mit Hemd und Hose bekleidet und sein dunkles Haar fiel ihm offen über die Schultern. Bei Tageslicht hatte es einen leicht rötlichen Schimmer. Die Bewegungen des jungen Mannes waren steif und seine ganze Haltung vermittelte den Eindruck, als hätte er Schmerzen. Mebilor wäre sicher nicht erfreut, wenn er seinen Patienten jetzt sehen würde. Ishira verharrte unschlüssig, die Hand auf der Klinke. Ihr Vorhaben, in den Garten zu gehen, konnte sie wohl vergessen.
»Guten Morgen, Yaren!« Auf der gegenüberliegenden Seite des umlaufenden Gangs kam Rondar in Sicht, gleichfalls sein Schwert in der Hand. Offenbar hatte er dieselbe Idee gehabt wie der Jüngere.
Reflexartig zog Ishira sich in ihre Kammer zurück. Sie wusste, dass es ungehörig war zu lauschen, aber sie wollte unbedingt mehr über die Beziehung der beiden Kireshi erfahren. Vorsichtig spähte sie durch den Türspalt und spitzte die Ohren. Als die beiden Männer nebeneinander standen, fiel ihr zum ersten Mal auf, wie groß Kiresh Yaren war. Er überragte ihren Begleiter um beinahe einen ganzen Kopf.
»Hat Mebilor dir erlaubt, schon wieder zu trainieren?« Rondars Tonfall ließ vermuten, dass auch er daran erhebliche Zweifel hatte.
»Was glaubst du wohl!« kam ein wenig ärgerlich die Antwort. »Wenn es nach unserem Gastgeber ginge, müsste ich noch einen ganzen Tag im Bett verbringen. Der alte Mann ist überfürsorglich.« In der morgendlichen Stille waren die Worte gut zu verstehen, obwohl keiner der beiden Männer besonders laut sprach.
Rondar seufzte. »Er will doch nur dein Bestes, Yaren. Denkst du nicht, es wäre vernünftiger, seinen Rat zur Abwechslung zu beherzigen? Umso mehr, nachdem du dich gestern so überanstrengt hast. Was spielt es für eine Rolle, ob du heute oder morgen oder erst in ein paar Tagen wieder anfängst zu trainieren? Du tust dir selbst keinen Gefallen, wenn du dir immer das Äußerste abverlangst.«
Kiresh Yaren wandte den Kopf ab. »Es geht mir gut, Rondar.«
»Nein, geht es eben nicht!« widersprach der Bakouran überraschend heftig. »Und ich rede nicht nur von deinem Arm. Ich mache mir Sorgen um dich, Junge, weißt du das? Was hast du dir da nur in den Kopf gesetzt?«
Sein letzter Satz ging halb im Klappern von Geschirr unter. Ishira verfluchte ihr Pech. Telan Mebilors Diener mussten dabei sein, das Frühstück zu richten. Wenn sie das Gespräch der beiden Kireshi weiterverfolgen wollte, musste sie näher an sie heran. Nach einem raschen Blick in den Gang huschte sie aus der Tür und schlich zu einem dichten runden Busch, der sie vor den Blicken der beiden Männer verbarg.
»… dich dazu treibt, auf die Drachenjagd zu gehen, Yaren«, sagte der Bakouran gerade. »Ich glaube, ich kann besser als jeder andere nachfühlen, was du durchgemacht hast. Aber du darfst dein Schicksal nicht auf diese Weise herausfordern! Es bringt weder Larika noch Peron ins Leben zurück. Eines Tages wirst du den Drachen höchstens selbst zum Opfer fallen.«
»Dann mag es so sein.« Der jüngere Mann klang gleichgültig, als wäre es ihm einerlei, ob die Amanori ihn irgendwann töteten. Ishira lief ein Schauder über den Rücken. Was brachte einen Menschen dazu, sein eigenes Leben so gering zu schätzen?
Rondar gab nicht so schnell auf. »Sechs Jahre sind eine lange Zeit, um sie der Rache zu opfern, Yaren, und wenn ich deine Trophäen betrachte, hast du sie erfolgreich genutzt. Ist dein Durst nach Vergeltung noch immer nicht gestillt?«
»Nein. Und das wird er auch niemals sein.« Aus jeder einzelnen Silbe sprach leidenschaftlicher Hass auf die Wesen, die er offensichtlich bereits seit Jahren verfolgte.
Wer mochten die Frau und der Mann gewesen sein, die Rondar erwähnt hatte? Die Geschwister des jungen Mannes? Flüchtig fragte Ishira sich, ob sie die Drachen in ähnlicher Weise hassen würde, wenn Kenjin von ihnen getötet worden wäre, aber bevor sie genauer darüber
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