INAGI - Kristalladern
einem Kommentar ansetzen wollte, hob er in einer halb beschwichtigenden, halb abwehrenden Geste die Hände. »Ich weiß, was du jetzt denkst, aber bitte hör mir erst zu.«
Widerstrebend nickte sie. Während er seine Gedanken vor ihr ausbreitete, merkte sie auf einmal, dass sie sich von seinen leidenschaftlichen Worten mehr vereinnahmen ließ, als sie wollte, und ihre Zweifel hinter der Hoffnung zurücktraten. Sie wusste nicht, ob es an seiner Überzeugungskraft lag oder einfach daran, dass sein Vorhaben eine Saite in ihr zum Klingen brachte, die wohl in jedem von ihnen schlief. Erst ganz am Ende meldete sich ihr Verstand zurück. »Das klingt gut und schön, Hiro, aber selbst, wenn ich dir alle Informationen beschaffe, die du brauchst, hat dein Plan eine entscheidende Schwachstelle: Wir sind Bergleute, keine Krieger. Wir haben weder Waffen noch können wir es an Geschick und Erfahrung mit den Kireshi aufnehmen. Wie willst du sie besiegen?«
»Es wird nicht ohne Opfer abgehen«, räumte ihr Freund ein, »aber es ist auch nicht unmöglich. Ich gebe zu, dass ich gehofft hatte, du könntest in den anderen Siedlungen ein paar Verbündete finden, aber wenn die Gohari dich so überwachen, können wir diesen Teil wohl vergessen. Wichtiger ist ohnehin, dass wir zu den anderen Orten hinfinden. Wenn die dortigen Bewohner sehen, was vor sich geht, werden sie sich uns von ganz allein anschließen.« Er beugte sich vor, um seinen Worten noch mehr Nachdruck zu verleihen. »Wenn wir davon ausgehen, dass in allen Forts weniger Gohari leben als Inagiri in den Siedlungen, sind wir deutlich in der Überzahl. Diesen Vorteil müssen wir uns zunutze machen. Wenn wir die Gohari überraschen, können wir dadurch unsere Schwächen ausgleichen. Es hängt alles von einem guten Plan ab. Deswegen müssen wir so viel über unsere Gegner in Erfahrung bringen wie möglich.«
Die Entschlossenheit in seinem Blick ließ nicht den geringsten Zweifel daran, dass er sich dieser Sache mit Leib und Seele verschrieben hatte und bereit war, selbst sein Leben in die Waagschale zu werfen. Ihr Freund hatte sich in den Kopf gesetzt, dass die Inagiri es schaffen konnten, ihre Freiheit zu erkämpfen, obwohl von den Bewohnern Soshimes kein Einziger wusste, wie man ein Schwert hielt, und nichts und niemand konnte ihn jetzt noch umstimmen. Was er vorhatte, war entweder unglaublich mutig oder unglaublich töricht. Oder beides.
Kanhiro strich über einen bemoosten Stein. »Ich weiß, worauf ich mich einlasse, Shira, und jeder, der sich mir anschließt, muss sich der Gefahr ebenfalls bewusst sein. Aber wir warten schon viel zu lange auf eine solche Gelegenheit, um sie nicht zu nutzen. Zum ersten Mal, seit ich denken kann, tut sich eine echte Chance auf, uns von der Herrschaft der Eroberer zu befreien. Vielleicht unsere einzige.«
Ishira kaute auf ihrer Unterlippe. Vielleicht war es wirklich nicht unmöglich, die Gohari zu besiegen. Sie hätte auch niemals geglaubt, dass sie in der Lage sein könnte, Shigen vorherzusagen. Und doch war es so. Die Wege der Götter waren rätselhaft und verschlungen. Niemand konnte sagen, was die Zukunft bereithielt, und manchmal musste man eben alles riskieren, um seine Ziele zu erreichen. War die Freiheit es nicht wert, dafür zu kämpfen? In der Mine setzten sie tagtäglich ihr Leben aufs Spiel, ohne dabei etwas zu gewinnen. So viele ihrer Angehörigen waren bereits für nichts gestorben: ihre Mütter, ihr Vater, Kanhiros Vater. War es nicht ihre Pflicht, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um wenigstens Kenjin ein besseres Leben zu ermöglichen – schon allein für alles, was seine Familie für sie getan hatte? Ishira straffte sich. »Also gut. Ich werde tun, worum du mich gebeten hast. Du musst mir nur sagen, worauf ich achten soll, dann werde ich mich bemühen, es herauszufinden.«
Ihr Freund sah etwas überrascht aus, als hätte er nicht damit gerechnet, dass sie so schnell zustimmen würde. Doch schon im nächsten Moment trat ein warmer Schimmer in seine Augen. »Ich hatte gehofft, dass du das sagst.«
Ishira holte tief Luft und strich mit den Fingern sacht über das Grab seines Vaters. »Dein Sohn ist an Leichtsinn und Verrücktheit wirklich nicht zu überbieten, Togawa, aber das weißt du vermutlich längst.«
Kanhiros Lippen verzogen sich zu seinem unnachahmlich schiefen Lächeln. »Heißt es nicht, dass die Verrückten von den Göttern beschützt werden?«
Kapitel XIII – Herzensdinge
FAHRIG ZÜNDETE Kanhiro das
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