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INAGI - Kristalladern

INAGI - Kristalladern

Titel: INAGI - Kristalladern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Strunk
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war so vollkommen unerwartet, dass sie seine Worte gar nicht richtig fassen konnte. Bis zu diesem Moment hatte sie sich nie gestattet, tiefer über die Art ihrer Beziehung nachzudenken oder sich zu fragen, was genau sie für Kanhiro empfand. All die Jahre über hatte sie sich eingeredet, dass die Zuneigung, die sie miteinander verband, die Liebe unter Geschwistern war. Sie hatte Kanhiro als ihren großen Bruder verehrt und war sicher gewesen, dass seine Gefühle für sie ähnlicher Natur waren. Und plötzlich musste sie erfahren, dass sie sich geirrt hatte. Dass seine Zuneigung viel tiefer ging, als sie geahnt hatte.
    Vielleicht hatte sie sich den Tatsachen aber auch absichtlich verschlossen, weil sie seine Gefühle nicht wahrhaben wollte. In Momenten der Schwäche hatte sie sich danach gesehnt, dass sie für immer mit ihm zusammen sein könnte. Dass es keine Rolle spielte, was sie war oder was andere über sie dachten. Dass es keinen Platz gäbe für Bedenken und Ängste. Dass sie nicht eines Tages allein zurückbleiben müsste. Doch sie hatte diese Sehnsucht jedes Mal in den hintersten Winkel ihres Bewusstseins verbannt, weil sie nicht zulassen durfte, dass Kanhiro ihretwegen die Achtung der anderen Dorfbewohner verlor. Nur hatte sie dabei außer Acht gelassen, wie er darüber dachte. Und dass Gefühle sich nicht um Vernunft scherten.
    Die Funken in Kanhiros Augen verloren ihr Feuer und sein Lächeln schwankte unsicher. Erschrocken erkannte Ishira, dass er ihr Schweigen fehldeutete. Sie hob eine Hand und zog mit dem Zeigefinger die Konturen seiner Lippen nach. »Küss mich noch einmal«, bat sie leise. »Ich will sichergehen, dass ich nicht träume.«
    Sein Lächeln kehrte zurück, wärmer und strahlender als zuvor. Er nahm ihre Hand in seine und hauchte einen Kuss in die Innenfläche, bevor er seine Finger mit ihren verschränkte. Mit der anderen Hand umfasste er ihren Nacken und zog sie an sich. Ishira schloss die Augen und überließ sich der Wärme seiner Berührung.
    »Was hast du nur angerichtet, Hiro«, murmelte sie schwach, als er sie schließlich freigab. »Wie soll ich jetzt gehen?«
    »Tut mir leid«, sagte er reumütig. »Ich konnte einfach nicht länger warten.« Er streichelte ihren Nacken. »Bist du mir böse?«
    »Natürlich nicht«, gab sie zurück. »Ich bin froh, dass du es mir gesagt hast. Das macht mich glücklich, wirklich.«
    Kanhiros Hand wanderte zu ihrer Wange. »Damit wären wir zwei.«
    »Drei«, sagte ihr Bruder von hinten. Er klang so zufrieden, dass man hätte meinen können, es wäre sein Verdienst, dass Kanhiro und sie zueinander gefunden hatten.
    Ishira nahm sich fest vor, das Glück jenes Moments im Herzen zu bewahren, um die Tage der Trennung leichter zu überstehen. Doch als sie am nächsten Morgen hinter Rondar aus dem Tor ritt, konnte sie nicht verhindern, dass eine Träne über ihre Wange kullerte. Der Abschied von Kanhiro war ihr schwergefallen – viel schwerer als beim letzten Mal. Sie hatte sich gewünscht, bis in alle Ewigkeit in seiner Umarmung verharren zu können. Wenn sie die Augen schloss, spürte sie noch immer seinen Kuss auf den Lippen.
    Sie holte tief Luft und ließ sie langsam durch den Mund ausströmen, bevor der Kloß in ihrem Hals sich in ein Schluchzen verwandeln konnte. Zum zigsten Mal wandte sie sich im Sattel um, obwohl es jedes Mal mehr schmerzte zu sehen, wie ihr Heimatdort in der Ferne kleiner und kleiner wurde, bis es am Horizont verschwand. Sie hatte das Gefühl, als würden schwere Gewichte auf ihrer Brust lasten und ihr Herz zusammenpressen. Wie sollte sie Monde lang ohne ihren Freund auskommen, nachdem sie gerade erst zu entdecken begonnen hatte, wie es war, von ihm geliebt zu werden?
    Um nicht gänzlich in Selbstmitleid zu versinken, wandte sie ihre Gedanken entschlossen der Aufgabe zu, die Kanhiro ihr am ersten Abend übertragen hatte: Informationen für ihn zu beschaffen. Zu wissen, dass sie etwas für ihren Freund tun konnte, hob ihre Stimmung ein wenig an. Jedenfalls solange sie das Ganze nur als Herausforderung betrachtete und geflissentlich von sich schob, dass aus der vagen Möglichkeit eines Aufstands irgendwann Realität werden könnte.
    Kanhiro hatte ihr gesagt, worauf sie ihr Augenmerk richten sollte: die Größe der Ortschaften und ihre Entfernung voneinander, markante Punkte in der Landschaft, an denen man sich orientieren konnte, der Aufbau der Forts, ihre Stärke, ihre Bewaffnung. Achte auf so viele Einzelheiten wie möglich,

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