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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
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dass ihr Gesicht ohne Narben blieb wie das von Keiro. Vielleicht war das der Grund, warum sein Eidbruder jetzt so verstört aussah und das Buch ebenfalls mit einem lauten Knall zuschlug.
    Â»Vergesst doch eure Geschichtchen.« Gildas hob den Blick, und sein markantes Gesicht strahlte. »Kommt her und lest ein richtiges Buch. Dies ist das Tagebuch eines gewissen Lord Calliston. Das ist der, den man den Stahlwolf nannte. Angeblich war er der erste Gefangene Incarcerons.« Er blätterte um. »Hier ist alles verzeichnet. Die Ankunft der Sapienti. Die ersten Strafgefangenen. Die Errichtung der Neuen Ordnung . Anscheinend waren sie zunächst noch sehr wenige, und in jenen Tagen sprachen sie mit dem Gefängnis, wie sie miteinander sprachen.«
    Er klang von Ehrfurcht erfüllt.
    Die anderen drängten sich um ihn herum und sahen, dass dieses Buch kleiner als die übrigen war und dass der Text wirklich mit der Hand und mit einer kratzigen Feder geschrieben worden war. Gildas tippte auf die Seite. »Das Mädchen hatte recht. Sie haben dieses Gefängnis als einen Ort gedacht, an dem sie all ihre Probleme abladen können, allerdings in der ernst gemeinten Hoffnung, auf diese Weise eine vollkommene Gesellschaft zu erschaffen. Diesen Aufzeichnungen zufolge hätten wir uns vor langer Zeit zu heiteren Philosophen entwickeln sollen. Seht mal hier.«

    Er las laut vor, und seine Stimme war heiser:
    Â» Für alles ist vorgesorgt, jede Eventualität bedacht worden. Wir haben nahrhaftes Essen, Erziehung und Bildung für jeden, ja sogar eine medizinische Versorgung, die besser als außerhalb ist, wo nun alles durch das Protokoll bestimmt wird. Hier im Gefängnis wird für Disziplin gesorgt, denn wir haben dieses unsichtbare Geschöpf, das beobachtet, bestraft und herrscht.
    Und dennoch.
    Alles verfällt. Es finden sich Gruppen von Abweichlern zusammen. Man streitet sich über Einflussgebiete. Ehen werden geschlossen, und es kommt zu Fehden. Bereits zwei Sapienti haben ihre Anhänger fortgeführt, damit sie isoliert von den anderen leben. Sie behaupteten, sie hätten Angst, dass die Mörder und Diebe sich niemals ändern würden. Ein Mann sei bereits getötet, ein Kind angegriffen worden. Letzte Woche haben sich zwei Männer einen Faustkampf geliefert, bei dem es um eine Frau ging. Das Gefängnis hat eingegriffen. Seitdem ist keiner der beiden mehr gesehen worden.
    Ich nehme an, sie sind tot und Incarceron hat sie wieder in sein System integriert. Die Todesstrafe war nicht vorgesehen, aber das Gefängnis hat nun die Verantwortung übernommen. Es denkt jetzt selbstständig. «
    Während die anderen schwiegen, fragte Keiro: »Haben sie etwa wirklich geglaubt, dass das funktionieren könnte?«
    Einen Moment später blätterte Gildas die Seite um. Sein Flüstern klang laut in der Stille. »Es scheint so. Aber Calliston schreibt nicht genau, was eigentlich schiefgelaufen ist. Vielleicht ist irgendein unvorhergesehenes Element aufgetaucht, das alles aus der Balance gebracht hat. Vielleicht nur durch eine Bemerkung oder eine unbedeutende Handlung. Und so hat der faulige Kern in ihrem perfekten Ökosystem um sich gegriffen und nach und nach immer mehr zerstört. Vielleicht hat auch Incarceron selbst nicht richtig gearbeitet und sich zu einem Tyrannen entwickelt.
Dass das geschehen ist, wissen wir, allerdings ist nicht klar, ob es die Ursache oder die Auswirkung war. Und dann ist da noch dies.«
    Er zeigte auf die Worte, während er sie vorlas, und als Finn sich vorbeugte, sah er, dass sie unterstrichen waren. Die Seite selbst war schmuddelig, als ob jemand immer wieder mit den Fingern darübergefahren wäre.
    Â»â€¦ oder liegt es daran, dass dem Menschen selbst der Keim des Bösen innewohnt? Dass er durch seine Eifersüchteleien und Begehrlichkeiten sogar ein Paradies vergiftet, in das er verpflanzt und das nur für ihn errichtet wurde? Ich fürchte, wir machen das Gefängnis für unsere eigene Verderbtheit verantwortlich. Und ich nehme mich selbst nicht aus, denn auch ich habe getötet und war nur auf meinen eigenen Vorteil bedacht.«
    In dem riesigen, stillen Raum schwebten Staubflocken in den breiten Lichtstrahlen, die durch die Fenster im Dach hereinfielen.
    Gildas schloss das Buch. Er schaute Finn an, und sein Gesicht war grau. »Wir sollten nicht hierbleiben«, sagte er bedächtig. »Dies ist ein Ort, an dem

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