Incarceron
ruhig zu atmen.
»Was glaubt Ihr, wie sich das angefühlt hat, Meister?« Der Hüter wirbelte herum. »Glaubt Ihr vielleicht, ich hätte davon nichts mitbekommen? Meint Ihr, ich hätte nicht darunter gelitten, dass ich nicht wusste, was ich tun sollte, um etwas zu verändern? Und die ganze Zeit über war ich mir bewusst, dass ich sie mit jedem Wort hinters Licht führte, jeden einzelnen Tag, nur, indem ich da war und sie glauben lieÃ, sie sei die meine.«
»Sie⦠Das ist es, was sie Euch nicht verzeihen wird.«
»Sagt Ihr mir nicht, was sie denkt!« John Arlex kam zu Jared und baute sich vor ihm auf. »Ich war immer eifersüchtig auf Euch. Ist das nicht albern von mir? Auf Euch: einen Träumer, einen Mann ohne Familie, der so zart und gebrechlich ist, dass einige Schläge ihn töten würden. Und der Hüter von Incarceron ist krank vor Eifersucht.«
Jared brachte mühsam hervor: »Ich ⦠hänge sehr an Claudia â¦Â«
»Ihr wisst natürlich, dass es Gerüchte über Euch und sie gibt.«
Mit einem Ruck drehte sich der Hüter weg und setzte sich wieder in seinen Sessel. »Ich gebe nichts auf diese Tratschereien; Claudia ist eigenwillig, aber sie ist nicht dumm. Die Königin jedoch ist von der Wahrheit des Geredes überzeugt, und lasst Euch eines gesagt sein, Jared: Im Augenblick schreit sie lauthals nach Rache, und diese kann sich gegen jeden richten. Evian mag tot sein, aber er hat ganz offensichtlich nicht allein gehandelt. Ihr zum Beispiel könntet mit ihm unter einer Decke gesteckt haben.«
Jared bebte. »Sir, Ihr wisst sehr wohl, dass das nicht der Fall war.«
»Ihr wusstet doch von dem Plan. Nicht wahr?«
»Ja, aberâ¦Â«
»Und Ihr habt nichts dagegen unternommen. Ihr habt niemanden davon unterrichtet.« Er beugte sich vor. »Das ist Hochverrat,
Meister Sapient, und könnte Euch leicht an den Galgen bringen.«
In die folgende Stille hinein wurde drauÃen etwas gerufen. Eine Fliege verirrte sich ins Zimmer, schwirrte dort herum und flog dann immer wieder gegen die Scheibe.
Jared versuchte nachzudenken, aber es blieb ihm keine Zeit dafür. Der Hüter knurrte: »Wo ist der Schlüssel?«
Jared wollte lügen. Sich irgendetwas ausdenken. Stattdessen schwieg er.
»Sie hat ihn mitgenommen, richtig?«
Er antwortete nicht. Der Hüter fluchte. »Alle Welt glaubt, Giles sei tot. Claudia hätte alles haben können, das Reich, den Thron. Hat sie denn wirklich geglaubt, ich würde zulassen, dass sie sich ihr Leben lang mit Caspar abgeben muss?«
»Dann wart Ihr am Komplott beteiligt?«, fragte Jared langsam.
»Komplott! Evian und seine naiven Träume von einer Welt ohne Protokoll! Es hat noch nie eine Welt ohne Protokoll gegeben. Ich hätte es den Stahlwölfen überlassen, sich um die Königin und um Caspar zu kümmern, und hätte sie danach alle hinrichten lassen. So einfach ist das. Aber nun hat sich Claudia gegen mich gewendet.«
Der Hüter starrte mit leerem Blick durch den Raum. Jared fragte vorsichtig: »Diese Geschichte, die Ihr Claudia erzählt habt ⦠über ihre Mutter.«
»Das war fast die Wahrheit. Aber als Helena starb, war unser Kind bereits krank, und ich wusste, dass es ebenfalls sterben würde. Was wäre dann aus meinen Plänen geworden? Ich brauchte eine Tochter, Meister. Und ich wusste, woher ich eine bekommen konnte.« Er nahm wieder auf dem Sessel gegenüber von Jared Platz. »Incarceron hat versagt. Das Gefängnis ist eine Hölle. Die Hüter wissen das schon lange, aber es gibt kein Heilmittel,
deshalb halten wir es geheim. Ich habe geglaubt, ich würde wenigstens eine Seele daraus erretten können. In den Tiefen des Gefängnisses fand ich eine Frau, die so verzweifelt war, dass sie sich bereit erklärte, sich von ihrem neugeborenen Mädchen zu trennen. Ich habe sie reichlich entlohnt. Ihre anderen Kinder konnten dadurch überleben.«
Jared nickte. Die Stimme des Hüters war leiser geworden; es wirkte, als spräche er mit sich selbst  â als hätte er sich diese Worte im Laufe der Jahre immer wieder als Rechtfertigung vorgebetet.
»Niemand hat etwas bemerkt, abgesehen von der Königin. Diese Zauberin hat nur einen einzigen Blick auf das Kind geworfen und Bescheid gewusst.«
Plötzlich ahnte Jared die ganze Wahrheit. Fasziniert sagte er: »Claudia
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