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Incarceron

Incarceron

Titel: Incarceron Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Fisher
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schließlich maß er ihn aus und notierte seine Ergebnisse in seiner gestochen scharfen Handschrift. »Das ist kein Glas, sondern ein Kristallsilikat. Außerdem«, er richtete die Waage aus, »ist da ein sehr seltsames elektromagnetisches Feld. Ich würde sagen, im streng mechanischen Sinne ist das gar kein Schlüssel, aber es ist auf jeden Fall eine sehr komplexe Technologie aus einer Epoche weit vor unserer. Er kann nicht einfach so eine Gefängnistür aufschließen, Claudia.«
    Das hatte sie bereits vermutet. Sie setzte sich wieder und sagte leise und nachdenklich: »Ich war immer eifersüchtig auf dieses Gefängnis.«
    Jared wandte sich erstaunt zu ihr um, und sie musste lachen.
    Â»Ja, wirklich. Damals, als ich noch ganz klein war und wir bei Hofe zu Besuch waren. Die Menschen standen dicht gedrängt, nur um ihn zu sehen  – den Hüter von Incarceron, den Wächter über die Insassen, den Beschützer des Reiches. Ich wusste zwar nicht, was diese Worte bedeuteten, aber ich hasste sie. Ich glaubte, Incarceron wäre eine Person, eine andere Tochter, eine geheimnisvolle, gehässige Zwillingsschwester. Ich habe
sie gehasst.« Sie nahm einen Zirkel vom Tisch und öffnete ihn. »Als ich herausgefunden hatte, dass es sich bei Incarceron um ein Gefängnis handelt, habe ich mir immer vorgestellt, wie mein Vater in den Keller geht und eine Laterne und einen riesigen Schlüssel mitnimmt  – einen rostigen, uralten Schlüssel. Ich habe geglaubt, dass es dort unten eine übermannsgroße Tür gäbe, mit den getrockneten Häuten der Strafgefangenen beschlagen.«
    Jared schüttelte den Kopf. »Zu viele Schauerromane.«
    Claudia balancierte den Zirkel auf einer Fingerspitze und drehte ihn dann gedankenverloren wie einen Kreisel. »Eine Zeit lang habe ich vom Gefängnis geträumt und dabei vor mir gesehen, wie die Diebe und Mörder tief unter dem Haus gegen die Türen hämmern und versuchen hinauszugelangen. Wenn ich aufwachte, hatte ich entsetzliche Angst und glaubte zu hören, wie sie kommen, um mich zu holen. Doch dann begriff ich irgendwann, dass es nicht so einfach ist.« Sie schaute hoch. »Dieser Bildschirm im Arbeitszimmer. Mein Vater muss Incarceron von dort aus überwachen können.«
    Jared nickte und verschränkte die Arme. »Alle Aufzeichnungen sagen, dass Incarceron nach seiner Erschaffung versiegelt wurde. Niemand kommt hinein oder heraus. Nur der Hüter wacht über die Entwicklungen im Innern. Er allein weiß um seinen Ort. Es gibt eine sehr alte Theorie, die besagt, dass Incarceron unter der Erde liegt, und zwar viele Meilen unter der Oberfläche, und dass es ein riesiges Labyrinth ist. Nach den Jahren des Zorns wurde die Hälfte der Bevölkerung dorthin geschafft. Das war ein großes Unrecht, Claudia.«
    Sanft betastete sie den Schlüssel. »Ja. Aber das alles hilft mir nicht weiter. Ich brauche einen Beweis für den Mord, ansonsten …«

    Â 
    Etwas flackerte.
    Das Licht, das vom Schlüssel zurückgeworfen wurde, veränderte sich.
    Claudia riss die Hand weg.
    Â»Erstaunlich«, flüsterte Jared.
    Ein dunkler Fleck, so groß wie ein Fingerabdruck, prangte in der Mitte des Kristalls; eine kreisrunde, schwarze Öffnung, wie ein Auge.
    Darin, weit in der Ferne, sah Claudia zwei glimmende Punkte, die sich bewegten und die so winzig wie Sterne waren.

9
    Du bist mein Vater, Incarceron.
Aus deinen Schmerzen bin ich geboren.
Knochen aus Stahl, Schaltkreise als Adern.
Mein Herz eine Gruft aus Eisen.
    LIEDER VON SAPPHIQUE
    Â 
    Â 
    K eiro hob die Laterne in die Luft. »Bist du hier, Weiser?«
    Gildas war nicht in seinem Schlafkäfig und auch sonst nirgends in der Hauptkammer gewesen, wo die Comitatus triumphierend Feuer in jedem Kohlebecken entzündet und mit lauten Liedern und viel Prahlerei ihren Sieg gefeiert hatten. Keiro war ein paar Mal gezwungen gewesen, seine Fäuste sprechen zu lassen, ehe sich unter den Sklaven einer gefunden hatte, der den alten Mann in Richtung der Elendswohnstätten hatte verschwinden sehen. Keiro und Finn hatten ihn schließlich in dieser kleinen Zelle aufgespürt, wo er die eiternde Wunde am Bein eines Sklavenkindes verband, dessen Mutter mit einer kümmerlichen Kerze danebenstand und ängstlich abwartete.
    Â»Ja, ich bin hier.« Gildas’ Kopf fuhr herum. »Komm mit der Laterne näher, ich

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