Incarceron
schon.« Claudia schaute zur Mühle, die sich vor ihnen am FuÃe des Hügels erhob. »Die Reaktion des alten Mannes war vollkommen unpassend, Meister. Er muss Giles geliebt haben.«
»Die Trauer bringt Menschen dazu, sich sonderbar zu verhalten, Claudia.« Jared schien besorgt. »Hast du Evian erzählt, dass du diesen Bartlett suchen willst?«
»Nein. Er â¦Â«
»Hast du es irgendjemandem gegenüber erwähnt? Alys zum Beispiel?«
Claudia schnaubte abfällig. »Wenn man Alys etwas anvertraut, wissen es innerhalb kürzester Zeit sämtliche Dienstboten.« Dann erinnerte sie sich an etwas, und sie zügelte ihr atemloses Pferd. »Mein Vater hat den Fechtmeister entlassen. Jedenfalls hat er das versucht. Hat er dir davon erzählt?«
»Nein. Noch nicht.«
Sie schwiegen, während Jared sich hinunterbeugte, ein Tor entriegelte und dann sein Pferd dazu brachte, sich einige Schritte rückwärtszubewegen, damit er das Gatter vollständig öffnen konnte. Auf der anderen Seite war die StraÃe uneben und von Hecken gesäumt. Hagebuttensträucher wucherten zwischen Brennnesseln und Weidenröschen, und überall leuchteten die weiÃen Dolden der Schafgarbe.
Jared sog an einem Insektenstich an einem seiner Finger. SchlieÃlich sagte er: »Hier müssen wir richtig sein.«
Es war ein niedriges Häuschen, das halb von einem groÃen Kastanienbaum verdeckt war, der daneben wuchs. Als sie näher heranritten, stellte Claudia mit finsterer Miene fest, dass es bis ins letzte Detail dem Protokoll entsprach. Das Strohdach war löchrig, die Mauern waren feucht und die Bäume im Obstgarten knotig und verwachsen. »Eine Behausung für arme Leute.«
Auf Jareds Gesicht breitete sich ein trauriges Lächeln aus. »Ich fürchte ja. In diesem Zeitalter kannten nur die Reichen die Annehmlichkeiten.«
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Sie banden ihre Pferde so an, dass sie das üppige, lange Gras am StraÃenrand fressen konnten. Das Gartentor war kaputt und stand offen. Claudia sah, dass es erst vor Kurzem mit Gewalt aufgerissen worden war und dass die Grashalme, die darunter zerdrückt worden waren, noch immer nass vom Tau waren.
Jared blieb ein paar Schritte vorm Haus stehen. »Die Tür ist unverschlossen«, sagte er.
Claudia wollte zu ihm laufen und sich an ihm vorbeischieben, aber Jared bedeutete ihr zu warten: »Nicht so schnell, Claudia.« Mit diesen Worten holte er seinen Scanner aus der Tasche und lieà ihn surren.
»Nichts. Hier ist niemand.«
»Dann können wir doch hineingehen und auf ihn warten. Meine Zeit wird knapp: Mir bleibt nur noch heute.«
Claudia lief den trockenen, unebenen Weg hinab. Jared folgte ihr rasch. Als sie die knarrende Tür weiter aufschob, glaubte sie, eine rasche Bewegung im Innern zu hören. »Hallo?«, fragte sie leise.
Schweigen.
Sie streckte ihren Kopf zur Tür hinein und sah sich um.
Im Raum war es dunkel, und es roch verqualmt. Ein kleines Fenster lieà ein wenig Licht herein, der Fensterladen war abgenommen worden und lehnte an der Wand. Die Feuerstelle war kalt; als Claudia eintrat, sah sie einen schwarz gewordenen Kochtopf an seinen Ketten, einen Spieà und Asche, die vom Wind, der durch den groÃen Schornstein drückte, aufgewirbelt wurde.
Zwei schmale Bänke säumten die Kaminecke; in der Nähe des Fensters standen ein Tisch, ein Stuhl und eine Anrichte mit angeschlagenen Zinntellern und einem Krug. Claudia nahm ihn zur Hand und roch an der Milch darin.
»Frisch.«
Ein Durchgang führte in den Kuhstall. Jared duckte sich unter dem Türsturz und schaute in den benachbarten Raum.
Er hatte Claudia den Rücken zugedreht, aber als er sich plötzlich versteifte, wusste sie, dass irgendetwas nicht stimmte. »Was ist los?«, fragte sie leise.
Er wandte sich langsam zu ihr zurück, und sein Gesicht war so weiÃ, dass sie glaubte, er habe einen Schwächeanfall. Krächzend sagte er: »Ich fürchte, wir sind zu spät gekommen.«
Sie ging zu ihm, doch er vertrat ihr den Weg.
»Ich will es sehen«, murmelte sie.
»Claudia â¦Â«
»Lass es mich sehen, Meister.« Sie duckte sich unter seinem Arm hindurch.
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Der alte Mann war auf den Boden des Stalles gestürzt. Es war unübersehbar, dass sein Genick gebrochen war. Er lag auf dem Rücken, die Arme ausgestreckt, eine Hand im Stroh vergraben. Seine Augen
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