Incarceron
hockte er sich ins Unterholz. Schlingpflanzen aus biegsamem Draht erhoben sich rings um ihn herum; sie hatten hohle Stiele, an denen eifrige Mikrokäfer zugange waren.
Rasch holte Finn den Schlüssel heraus.
Es war ein Risiko, denn Keiro könnte ihm nachkommen. Aber der Kristall war jetzt heià in seinen Fingern, und tief im Innern des Schlüssels konnte er die inzwischen vertrauten kleinen, blauen Lichter erkennen.
»Claudia?«, flüsterte er ängstlich. »Kannst du mich hören?«
»Finn! Endlich.«
Ihre Stimme war so laut, dass er schlucken musste und sich hastig umschaute. »Leise! Und schnell bitte. Er kommt mich bestimmt bald suchen.«
»Wer denn?« Claudia klang fasziniert.
»Keiro.«
»Wer ist das?«
»Mein Eidbruder â¦Â«
»In Ordnung. Hör mal zu. Da ist ein kleines Bedienfeld unten am Schlüssel. Es ist kaum zu erkennen, aber die Oberfläche ist etwas erhöht. Kannst du es mit den Fingern ertasten?«
Seine Finger glitten über den Schlüssel und hinterlieÃen schmutzige Flecke. »Nein«, sagte er niedergeschlagen.
»Versuch es! Glaubst du, er hat vielleicht ein anderes Gerät?«
Diese Frage war nicht an Finn gerichtet gewesen. Eine Männerstimme antwortete ihr, und Finn glaubte, dies müsse Jared
sein. »Ich bin mir beinahe sicher, dass die beiden Schlüssel identisch sind. Finn, du musst es mit den Fingerspitzen erfühlen. Such an den Facetten in der Nähe der Ränder.«
Für wie beschränkt hielten sie ihn denn? Mit seinen wunden Fingern tastete er hektisch den Schlüssel ab.
»Finn!« Keiros Murmeln kam von unmittelbar hinter ihm. Er fuhr zusammen, steckte den Schlüssel wieder unter sein Hemd und fauchte atemlos: »Herrgott noch mal. Kann ich hier nicht mal in Ruhe was trinken?«
Sein Bruder zerrte ihn mit der Hand zurück in den Schutz eines Blätterhaufens. »Duck dich und halt die Klappe. Wir haben Besucher.«
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Claudia hockte sich hin und fluchte vor Enttäuschung. »Er ist weg. Warum nur?«
Jared ging zum Fenster und starrte hinunter auf das Chaos im Hof. »Es ist ganz gut so. Der Hüter kommt gerade die Treppe hoch.«
»Hast du gehört, wie seine Stimme klang? Schon wieder so, als ob er ⦠in Panik wäre.«
»Das Gefühl kenne ich.« Jared zog ein kleines Pad aus der Tasche seines Reitumhangs und warf es ihr zu. »Das ist der vollständige Testamentsentwurf des alten Mannes. Lies ihn, während wir unterwegs sind.«
Türen fielen krachend ins Schloss. DrauÃen waren Stimmen zu hören. Die ihres Vaters und Caspars.
»Lösch das sofort, wenn du damit fertig bist, Claudia. Ich habe eine Kopie.«
»Wir sollten irgendetwas mit dem Leichnam machen.«
»Wir waren gar nicht dort, wie du dich hoffentlich erinnerst.«
Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, als sich auch schon
die Tür öffnete. Ohne Hast lieà Claudia das Pad in ihrem Cape verschwinden.
»Meine Liebe.« Ihr Vater kam herein und baute sich vor ihr auf. Sie erhob sich und wandte sich ihm zu, um ihn zu begrüÃen. Er trug wie üblich einen schwarzen Gehrock. Der Schal um seinen Hals schien aus teurer Seide zu sein, und seine Stiefel waren aus feinstem Leder. AuÃerdem hatte er sich heute eine kleine, weiÃe Blume in sein Knopfloch gesteckt, als wollte er unterstreichen, was für ein wichtiger Tag dies sei. Das sah ihm so wenig ähnlich, dass Claudia ihn verblüfft anstarrte.
»Bist du bereit?«, fragte er.
Sie nickte. Sie hatte ein dunkelblaues Reisekostüm und einen Umhang an, in welchen eine Extratasche eingenäht worden war, worin sie den Schlüssel aufbewahrte.
»Ein groÃartiger Morgen für das Haus Arlex, Claudia. Der Anfang eines neuen Lebens für dich, für uns alle.« Sein Haar mit den feinen Silbersträhnen war streng zurückgekämmt, seine Augen dunkel vor tiefer Befriedigung. Er streifte seine Handschuhe über, ehe er nach Claudias Hand griff, als ob er wüsste, wie unangenehm ihr seine klammen Finger immer waren. Ohne zu lächeln, schaute sie ihn an, aber vor ihrem geistigen Auge sah sie den alten Mann tot im Stroh, die Augen blicklos geöffnet.
Dann rang sie sich doch noch ein Lächeln ab und machte einen raschen Knicks. »Ich bin bereit, Vater.«
Er nickte. »Ich wusste, dass du rechtzeitig fertig sein würdest. Mir war immer klar, dass du mich
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