Incarceron
halten, aber wo auch immer sich der Sapient und das Mädchen versteckten  â sie waren für ihn unsichtbar.
Er sah den Männern zu, die sich an den Bäumen entlangarbeiteten. Sie bewegten sich hügelabwärts und schienen dabei zu schrumpfen, und Finn sah deutlich, wie der Mann ganz am Ende zu schimmern begann, als ob er durch irgendeine Störung in der Luft schritt.
Nach einer Weile waren nur noch ihre Köpfe und Schultern zu sehen. Dann waren sie vollständig verschwunden.
Keiro wartete lange, ehe er aufstand. Er pfiff leise, und ein Blätterhaufen in der Nähe begann, sich zu bewegen. Gildasâ silberner Haarschopf tauchte auf, dann fragte der Sapient: »Sind sie weg?«
»Weit genug.«
Keiro sah zu, wie Attia eilig herausgeklettert kam, drehte sich um, warf seinem Eidbruder einen Blick zu und fragte leise: »Finn?«
Es geschah wieder . Schuld daran war der Moment, in dem er in das Luftflimmern geschaut hatte. Finns Haut prickelte und juckte, sein Mund wurde trocken, seine Zunge fühlte sich steif an. Er rieb sich mit dem Handrücken über den Mund. »Nein«, murmelte er.
»Fang ihn auf«, fauchte Gildas.
Aus der Ferne hörte Finn Keiro rufen: »Warte.«
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Und dann lief Finn. Er lief geradewegs auf die Leere zwischen zwei groÃen Kupferästen zu, wo sich die Luft bewegt hatte, als ob dort Staub durch einen Lichtstrahl gerieselt wäre oder als ob sich dort ein Graben in der Zeit geöffnet hätte. Dort angekommen, blieb er stehen und streckte beide Arme vor sich aus, als wäre er blind. Da war ein Schlüsselloch aus dieser Welt hinaus.
Ein Windzug blies hindurch.
Kleine Schmerzensstiche durchzuckten ihn. Aber er erduldete sie, während er das Loch betastete; er brachte sein Gesicht näher heran, hielt sein Auge davor und starrte hindurch.
Finn sah einen Lichtschimmer, der so strahlend war, dass seine Augen tränten und er nach Luft schnappte. Silhouetten waren zu erkennen, die sich bewegten, eine grüne Welt, ein Himmel so blau wie in seinen Träumen und ein schwarz und dunkelgolden gestreiftes Tier, das ihm summend entgegenflog.
Er stieà einen Schrei aus und wich taumelnd zurück, dann spürte er, wie Keiro ihn von hinten mit beiden Armen umfasste. »Schau weiter, Bruder. Was siehst du? Was ist da, Finn?«
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Er brach zusammen. Alle Kraft schwand aus seinen Beinen, und er sackte auf die zu Boden gefallenen Blätter. Attia stieà Keiro zur Seite. Rasch goss sie Wasser in einen Becher und hielt ihn Finn hin. Der griff blind danach und stürzte den Inhalt hinunter, dann schloss er die Augen und stützte seinen Kopf in die Hände. Ihm war schwindlig, und er fühlte sich krank. Er würgte und erbrach sich.
Ãber ihm waren wutentbrannte Stimmen zu hören. Als er lauschte, erkannte er, dass eine davon Attia gehörte.
»⦠könnt ihn nicht so behandeln. Seht ihr denn nicht, dass es ihm schlecht geht?«
Keiros Lachen klang spöttisch. »Er wird sich schon wieder
fangen. Er ist ein Seher. Er sieht Dinge. Dinge, die wir wissen müssen.«
»Sorgt ihr euch denn gar nicht um ihn?«
Finn riss den Kopf hoch. Attia hatte sich vor Keiro aufgebaut, ihre kleinen Hände waren rechts und links neben ihrem Körper zu Fäusten geballt. In ihren Augen lag kein verletzter Ausdruck mehr, sondern sie blitzten vor Zorn.
Keiro lieà sich sein höhnisches Grinsen nicht nehmen. »Er ist mein Bruder. Natürlich sorge ich mich um ihn.«
»Du sorgst dich nur um dich selbst.« Sie wandte sich an Gildas. »Und du auch, Meister. Du â¦Â«
Sie brach ab. Gildas hörte ihr ganz offensichtlich nicht zu. Er hatte sich mit einem Arm gegen einen der Metallbäume gestützt und starrte nach vorne.
»Kommt alle her«, sagte er leise.
Keiro streckte die Hand aus, und Finn ergriff sie und lieà sich erschöpft auf die Beine ziehen. Sie gingen zum Sapienten hinüber, blieben hinter ihm stehen und sahen, was er sah.
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Der Wald endete hier. Vor ihnen lief eine schmale StraÃe hinab zu einer Stadt, die sich hinter Mauern in einer feuerroten, kahlen Ebene befand. Häuser drängten sich aneinander, die aus Metallteilen zusammengeschustert worden waren, mit Türmen und Zinnen aus seltsam dunklem Holz, mit Laub aus Blech und Kupfer gedeckt.
Die ganze StraÃe war von Hunderten und Aberhunderten von Menschen bevölkert, die in einem langen
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