Incarceron
Strom hintereinander herliefen, lärmten, lachten, durcheinanderschrien und sangen. Sie kamen traubenweise, manche von ihnen mit Karren, oder sie trugen Kinder auf ihren Armen und trieben Schafherden vor sich her.
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Claudia saà auf der Bank im Innern der Kutsche und hatte ihre Knie angezogen, während sie in dem kleinen Pad las. Alys schlief. Das Gefährt schaukelte, drauÃen flogen die grünen Wälder und Felder vorbei, die zum Gebiet des Hüters gehörten. Ãber ihnen erstreckten sich Wolken voller Staub und Fliegen.
Mein Name ist Gregor Bartlett. Dies ist mein Testament.
Ich bitte diejenigen, die es finden, inständig, es in Sicherheit zu bringen und zu benutzen, wenn die Zeit dafür gekommen ist, denn es wurde ein groÃes Unrecht begangen, und nur ich bin noch am Leben und weià davon.
Von Kindheit an habe ich im Palast gearbeitet. Ich war Stalljunge und Bote und schlieÃlich Hausdiener. Man begann, mich zu schätzen, und ich wurde einflussreicher. Dann wurde ich Kammerdiener des letzten Königs, und ich erinnere mich an seine erste Gemahlin, eine zarte, hübsche Frau von jenseits des Meeres, die er geehelicht hatte, als sie beide noch sehr jung waren. Als sein erster Sohn, Giles, geboren wurde, wurde dieser mir anvertraut. Ich besorgte eine Amme für ihn und stellte Kindermädchen ein. Er war der Erbe; ihm durfte es an nichts mangeln. Während der Junge heranwuchs, schloss ich ihn in mein Herz, als wäre er mein eigener Sohn. Er war ein fröhliches Kind, auch dann noch, als seine Mutter starb und der König ein zweites Mal heiratete. Giles lebte in seinem eigenen Flügel des Palastes, umgeben von seinem geliebten Spielzeug und von Tieren und mit seinem eigenen Haushalt ausgestattet. Ich selbst habe keine Kinder. Der Junge wurde mein ganzer Lebensinhalt. Das muss man mir glauben.
Nach und nach spürte ich die Veränderung. Als er gröÃer wurde, kam sein Vater immer seltener. Es gab jetzt einen zweiten Sohn, den Earl Caspar, ein quengeliges, lautes Kind, das von den Frauen am Hof verhätschelt wurde. Und es gab die neue Königin.
Sia ist eine seltsame, verschlossene Frau. Man erzählt sich, der König habe einst aus dem Fenster seiner Kutsche geschaut, als er einen Waldweg entlanggefahren wurde, und da habe er sie an einer Kreuzung entdeckt. Es heiÃt, er habe ihr im Vorbeifahren in die Augen geblickt  â seltsame, blasse Augen  â, und von diesem Moment an habe er nicht mehr aufhören können, an sie zu denken. Er schickte Boten zurück, doch da war niemand mehr. Er lieà die umliegenden Dörfer und Anwesen absuchen und erlieà Aufrufe, er setzte sogar Belohnungen für seine Adligen aus, doch niemand konnte sie finden. Und dann, Wochen später, spazierte er in den Palastgärten, und als er den Blick hob, war sie da und saà am Springbrunnen.
Niemand kannte ihr Elternhaus oder wusste, woher sie stammte. Ich glaube, sie ist eine Zauberin. Was schon bald, nachdem ihr Sohn geboren worden war, deutlich wurde, war ihr Hass auf Giles, den sie jedoch niemals dem König oder seinen Höflingen gegenüber zeigte. Ihnen gegenüber achtete sie darauf, dem Erben Ehre zu erweisen. Aber ich habe den Hass in ihren Augen lodern sehen.
Als Giles sieben Jahre alt war, wurde er der Tochter des Hüters von Incarceron versprochen. Ein sehr stolzes kleines Mädchen, aber er schien es zu mögen â¦
Claudia lächelte. Sie warf Alys einen Blick zu und lehnte sich aus dem Fenster. Die Kutsche ihres Vaters war hinter ihr; anscheinend fuhr er gemeinsam mit Evian. Sie scrollte weiter.  ⦠Ich teilte mit ihm seine Freude während seiner Geburtstagsfeier. Dies war die Nacht, in der wir unter dem Sternenhimmel auf dem See ruderten und er mir erzählte, wie glücklich er war. Die Worte, die er an mich richtete, werde ich niemals vergessen. Der Tod seines Vaters machte ihm schwer zu schaffen. Er wurde zum Einzelgänger. An Tänzen und Spielen nahm er nicht mehr teil. Er lernte fleiÃig. Ich fragte mich, ob er damals begonnen
hat, die Königin zu fürchten. Er hat nie ein Wort darüber verloren.
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Nun will ich zum Ende kommen. Am Tag vor seinem Reitunfall bekam ich die Nachricht, dass meine Schwester, die in Casa lebt, erkrankt sei. Ich bat Giles um die Erlaubnis, zu ihr reisen zu dürfen; der liebe Junge war höchst besorgt und bestand darauf, dass mir in der Küche
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