Incarceron

gedacht, noch etwas anderes zusammenzupacken als exquisite Kleidung und nutzlose Ringe.« Er schirmte die Flamme mit der hohlen Hand ab. »Sei leise. Andererseits: Was auch immer auf uns wartet, hat uns sicher bereits gerochen. Und es wird auch gehört haben, dass wir kommen.«
    Wie zur Antwort rumpelte etwas vor ihnen. Es war ein tiefes, mahlendes Geräusch, das sich wie eine Vibration unter ihren aufgestützten Händen anfühlte. Finn zog sein Schwert heraus und umklammerte es fest. In der Schwärze vor ihm konnte er jedoch nichts erkennen.
    Er schob sich weiter, und der Tunnel öffnete sich zu einer
Höhle rings um sie herum. Im flackernden Licht der winzigen Kerze sah er die gezackten Ränder der einzelnen Metallschichten des Bodens. Kristallquarze stachen hervor, und es gab seltsame Oxidverkrustungen, die im vorbeihuschenden Licht türkis- und orangefarben glitzerten. Finn stützte sich auf Hände und Knie.
    Vor ihnen bewegte sich etwas. Er fühlte es eher, als dass er es hörte, und er spürte einen Hauch fauliger Luft, der sich hinten in seiner Kehle sammelte. Reglos lauschte er, jeder einzelne Sinn angespannt. Hinter ihm knurrte Gildas.
    Â»Sei still!«
    Der Sapient fluchte. »Ist es dort?«
    Â»Ich denke ja.«
    Â 
    Nach und nach nahm Finn den Raum, in dem er sich befand, besser wahr. Er gewöhnte sich an die Dunkelheit, und vor seinen Augen begannen sich Kanten und ein abfallender Hang aus den Schatten zu lösen. Finn sah verkohltes Gestein wie eine auf dem Kopf stehende Pyramide aufragen und begriff mit plötzlichem Entsetzen, dass es gewaltige Ausmaße hatte und schier endlos in die Höhe zu reichen schien. Aus dem Luftzug waren Windböen geworden, die ihm stoßweise ins Gesicht bliesen; ein warmer Hauch wie der Atem einer mächtigen Kreatur. Ein entsetzlicher, beißender Gestank.
    Und dann, in einem Moment völliger Klarheit, wusste Finn, dass sich das Biest rings um ihn herum zusammengerollt hatte. Die schwarzen Facetten der Felsoberfläche waren seine Schuppenhaut, die riesigen Steindornen waren seine versteinerten Klauen. Finn und Gildas befanden sich in einer Höhle, die von der qualmenden Haut eines uralten Geschöpfes gebildet wurde.
    Er drehte sich um und wollte einen Warnruf ausstoßen.
    Aber in diesem Moment, langsam, mit einem entsetzlichen, knirschenden Geräusch, öffnete sich ein Auge.

    Ein rotes Auge mit schwerem Lid, das größer war als Finn selbst.
    Â 
    Auf dem ganzen Weg war der Lärm auf den Straßen ohrenbetäubend. Unablässig wurden Blumen geworfen. Erst nach einer ganzen Weile bemerkte Claudia, dass sie bei jedem Aufprall und dem Rutschen der Blumenstängel über das Dach der Kutsche zusammenzuckte, und der Geruch der zerdrückten Blätter und Stiele wurde immer süßer und erstickender. Der Weg hoch zum Palast war steil, und sie wurde auf sehr unangenehme Weise in ihren Sitz gepresst. Jared, der neben ihr saß, sah bleich aus. Sie legte ihm eine Hand auf den Arm und fragte: »Ist alles in Ordnung mit dir?«
    Er lächelte schwach. »Ich wünschte, wir könnten einfach aussteigen. Es wird keinen guten Eindruck machen, fürchte ich, wenn ich mich auf den Stufen des Palastes übergebe.«
    Claudia bemühte sich um ein aufmunterndes Lächeln, dann saßen sie schweigend nebeneinander da, während die Kutsche durch die Tore der äußeren Zitadelle rumpelte und ratterte. Ihr Weg führte sie unter der gewaltigen Verteidigungsanlage hindurch und durch Höfe und Säulengänge. Bei jeder Biegung und Abzweigung hatten Claudia und Jared das Gefühl, dass sie tiefer und tiefer in das Leben hineingezogen wurden, das hier in diesem Labyrinth der Macht und Irrgarten des Verrates auf sie wartete.
    Â 
    Langsam verebbten die lärmenden Rufe; die Räder liefen nun auf weichem Untergrund, und als Claudia hinter dem Vorhang hervor auf die Straße spähte, sah sie, dass die Straße mit langen, prächtigen Bahnen von rotem Teppich ausgelegt worden war. Zwischen den Häusern waren Blumengirlanden gespannt, und Tauben flatterten von den Dächern und Giebeln auf.

    Hier gab es mehr Menschen; dies waren die Wohnstätten der Höflinge, und hier residierten der Geheime Rat und das Protokollamt. Die Jubelschreie waren eingeübter und abgestimmt auf die Musik von Geigen und Hörnern, Querflöten und Trommeln. Von irgendwo über sich konnte