Incognita
Nie wieder die eigene Familie sehen, nie wieder mit Freunden sprechen, nie wieder die Errungenschaften der modernen Zivilisation genießen.
John ahnte, dass noch viele Hürden überwunden werden mussten, bis die Zeitmaschine voll funktionsfähig wäre und alle Sicherheitsanforderungen erfüllte. Im Moment konnte er sich noch nicht dazu entschließen, Gordons Projekt zu unterstützen. Er wollte zuerst ein paar Nächte darüber schlafen und sich ausführlich mit Gordon über die Fehlerursachen der Reise unterhalten. Danach würde er eine Entscheidung treffen.
Er hörte ein Geräusch an der Tür. »Liebling, bist du das?«
Statt einer Antwort erschien Laura im Wohnzimmer. Sie trug ein knielanges, schwarzes Kleid und dazu Silberschmuck. John hätte wetten können, dass sie am Morgen mit Hose und Blazer aus dem Haus gegangen war. Das Kleid war so sexy, dass es ihm mit Sicherheit in Erinnerung geblieben wäre. Aber immerhin lag der Morgen für ihn schon Monate zurück, sodass er sich absolut nicht mehr sicher war. Also ließ er es unerwähnt.
»Ich habe eben einen Happen gegessen«, sagte er. »Hätte ich gewusst, dass du so früh nach Hause kommst, hätte ich gewartet.«
»Lieb von dir, aber ich bin nicht hungrig«, sagte sie. »Mein Mittagessen mit Rashid Gamble hat vier Stunden gedauert. Ich fühle mich wie eine Mastgans.«
John entsann sich, dass der indische Industrielle Lauras Mandant war, auch wenn er nicht mehr wusste, weshalb. »Warst du wenigstens erfolgreich?«
Sie nickte. »Ich glaube, die Aussichten stehen gut, dass das Verfahren gegen ihn eingestellt wird. Wie war dein Tag?«
John zögerte. Ein Teil von ihm wollte sich Laura anvertrauen, ihr alles erzählen. Darüber zu sprechen würde ihm vielleicht helfen, seine Erlebnisse zu verarbeiten, die ihn ohnehin noch lange genug in seiner Erinnerung verfolgen würden wie unheimliche Schatten. Doch wie würde Laura reagieren? Schatz, ich war heute Mittag ein paar Wochen lang im sechzehnten Jahrhundert, wo ich die erste Amazonas-Expedition begleitet habe. Gordon hat nämlich eine Zeitmaschine erfunden. Vermutlich würde sie ihn für übergeschnappt halten.
Er entschied sich für eine Lüge und behauptete, er sei mit einem Geschäftspartner beim Squash gewesen. Während er ein paar erfundene Details erzählte, folgte er seiner Frau ins Bad, wo er ihr dabei zusah, wie sie sich auszog und in der Duschkabine verschwand. Ihn überkam ein eigenartiges Gefühl, eine Mischung aus purem Verlangen und dem beinahe kindlichen Bedürfnis, in den Arm genommen und getröstet zu werden. Stumm beobachtete er Lauras Bewegungen hinter dem Milchglasfenster. Als sie fertig geduscht hatte und er ihr das Handtuch reichte, überwältigte ihn der unstillbare Drang, sie zu küssen. Ohne weiter darüber nachzudenken, tat er es, lange und intensiv. Er schmeckte ihre weichen Lippen, roch das Lavendel-Aroma des Duschgels auf ihrer Haut. Er genoss es, wie ihre Zungen einander berührten, als sei es das erste Mal. Laura ließ das Handtuch fallen und presste sich enger an ihn. John spürte seinen erigierten Penis an ihrem Körper und wollte nur noch eines: seine Kleidung abstreifen und mit Laura schlafen.
» Baciami , John, si, così mi piace . – Ja, genau so! – Dimostrami il cielo .« Im Rausch ihrer Worte wurde sein Begehren übermächtig. Er drängte sich zu ihr in die Glaskabine, küsste sie weiter, als würde davon sein Leben abhängen, grob, ungestüm, beinahe brutal. Irgendetwas in ihm konnte nicht genug davon bekommen. Es war wie eine Sucht, die er viel zu lange unterdrückt hatte und die ihn jetzt umso heftiger heimsuchte.
Doch dann hatte er plötzlich den Eindruck, dass alles zu schnell ging. Er wollte das Zusammensein mit Laura genießen, es bei vollem Bewusstsein in sich aufsaugen. Nicht nur rasch seine triebhaften Instinkte befriedigen.
Er ließ von ihr ab und betrachtete sie eingehend. Großer Gott, wie schön sie war! Und wie anziehend! Seit er ihr zum ersten Mal begegnet war, hatte sie nichts von ihrer Sinnlichkeit verloren. Im Gegenteil – heute schien sie ihm sogar noch attraktiver als sonst. Ihr nasses Haar glänzte verlockend. Die ebenmäßigen Gesichtszüge, die schlanke Nase und die vollen, geschwungenen Lippen verliehen ihr ein Aussehen, um das selbst Julia Roberts sie beneidet hätte.
Dennoch war John plötzlich irritiert. Irgendetwas an Lauras Gesicht war anders als sonst, zumindest kam es ihm so vor. Er zögerte einen Moment, überlegte. Dann fiel ihm
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