Incognita
auf, was ihn störte: ihre Augen. Genauer gesagt deren Farbe. John hatte sie dunkelgrün in Erinnerung, beinahe schwarz. Heute glänzten und funkelten sie jedoch wie strahlende Smaragde, als würde in ihrem Innern ein Feuer lodern. Woran lag das? Am Licht im Badezimmer? Daran, dass die Gefahren des Dschungels seine Wahrnehmung sensibilisiert hatten? Oder hatte er seiner Frau ganz einfach viel zu lange nicht mehr tief in die Augen geschaut?
Laura fiel seine Irritation nicht auf. Sie öffnete sanft die Lippen. » Ti vorrei «, hauchte sie ihm entgegen. » Ti vorrei con tutto cuore . Ich will, dass wir uns lieben. Sofort.«
Die Worte wirkten auf ihn wie ein Liebeszauber. John schüttelte die störenden Gedanken ab, um sich nun vollends von der Erotik des Augenblicks gefangennehmen zu lassen. Er küsste Laura auf die Schulter und auf den Hals, dann ließ er sich vor ihr auf die Knie sinken, während seine Lippen zwischen ihren Brüsten hinab bis zum Bauchnabel und tiefer wanderten. Auf dem kleinen, herzförmigen Muttermal, knapp oberhalb des Schamhaaransatzes, hielt er inne. Er hörte Lauras schweren, erregten Atem und spürte, wie sie unter seinen Liebkosungen erzitterte.
»Großer Gott, wie habe ich dieses Muttermal vermisst«, murmelte er.
Später lag er mit Laura im Bett. Sie hatte sich von ihm weggedreht, ein Bein angewinkelt, das andere ausgestreckt. Ihr langes, kastanienbraunes Haar ergoss sich weitläufig über das Kopfkissen. Schultern und Rücken lagen frei, die seidene Bettdecke verhüllte nur ihren Po. Ihr Atem ging ruhig und gleichmäßig. John konnte sich nicht an ihr sattsehen. Aber obwohl sie beide einen wahrhaften Rausch der Lust und Leidenschaft durchlebt hatten, fehlte ihm etwas. Er fühlte sich eigenartigerweise unbefriedigt, und – noch schlimmer – ihm fehlte das, was er sich am meisten von seiner Rückkehr erhofft hatte: Geborgenheit. Aus irgendeinem Grund kam er sich in seinen eigenen vier Wänden deplatziert, ja sogar fremd vor. Auch Laura konnte daran nichts ändern.
John fehlte das Gefühl, wieder zu Hause zu sein.
Kapitel 19
In den nächsten Tagen fiel John eine Reihe von Dingen auf, die sein Gefühl der Fremdheit weiter verstärkten. Da war zunächst der alte Kupferstich von Südamerika, den Andrew Lewelin, der Leiter des National Historical Museums in Kensington, ihm anlässlich der Eröffnung der Amazonas-Ausstellung geschenkt hatte. John wusste ganz genau, dass er das Bild neben der Schrankwand im Wohnzimmer aufgehängt hatte, doch dort befand sich jetzt wieder das Ölgemälde von Jackson Pollock. Als John seine Frau danach fragte, sagte sie, sie erinnere sich zwar, dass der Kupferstich geliefert worden sei, wisse aber nicht, was John damit gemacht habe. Nach einigem Nachdenken wurde John klar, dass sie das gar nicht wissen konnte, weil er die Landkarte erst aufgehängt hatte, als sie bereits aus der Wohnung gegangen war. Notgedrungen musste John sich eingestehen, dass er sich möglicherweise irrte. Vielleicht hatte er nur vorgehabt, den Kupferstich aufzuhängen, es dann jedoch aus irgendeinem Grund vergessen. Aber wo war das Bild dann? Er suchte das ganze Penthouse vergeblich danach ab.
Es gab noch ein paar weitere Dinge, die ebenfalls nicht passten. Seine Zahnbürste war beispielsweise nicht mehr blau, sondern grün, das Motiv auf den Frühstückstellern kam ihm verändert vor, und auf der Fernbedienung des DVD-Players fehlten zwei Knöpfe. Sie waren einfach nicht mehr da – gerade so, als hätten sie nie existiert. Außerdem stand in der Ecke neben dem Fernseher der hüfthohe, halb vertrocknete Ficus, von dem John hätte schwören können, dass Laura ihn während seines Aufenthalts auf Caldwell Island entsorgt hatte.
Jedes Detail für sich genommen war eine Lappalie, an die er normalerweise kaum einen Gedanken verschwendet hätte. In der Summe brachten sie ihn jedoch ins Grübeln. Hatte Laura all die Veränderungen veranlasst? Hatte sie seine Zahnbürste ausgetauscht, ein neues Kaffeeservice gekauft, die Fernbedienung gegen eine neue ersetzt und darüber hinaus den welken Ficus wieder aus dem Mülleimer geholt?
Aber wann hätte sie all das tun sollen?, fragte sich John. Aus ihrer Sicht war ich doch nur ein paar Stunden außer Haus! Und sie hatte in dieser Zeit einen Geschäftstermin mit Rashid Gamble.
Zunächst scheute er sich, mit Laura darüber zu sprechen. Vielleicht war sein Erinnerungsvermögen nicht nur bezüglich des Kupferstichs getrübt. Als er am Sonntag
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