Incognita
Chester.«
»Entschuldigen Sie die Störung, Sir, aber hier ist Besuch für Sie.«
»Wer ist es?«
»Das weiß ich nicht, Sir. Er nannte nur Ihren Namen. Offen gesagt, ich glaube nicht, dass er Englisch spricht. So, wie er aussieht, kommt er direkt aus dem Urwd …«
John hatte das letzte Wort nicht verstanden. »Chester – was haben Sie gesagt?«
Keine Antwort.
»Chester? Hören Sie mich?«
Der Portier meldete sich nicht mehr.
John drückte die Telefongabel und versuchte, die Verbindung wieder herzustellen, doch am anderen Ende der Leitung war belegt. Auf Johns Haut machte sich ein unangenehmes Kribbeln breit.
Nicht die Nerven verlieren!, mahnte er sich. Es muss nichts Schlimmes passiert sein. Vielleicht führt Chester einfach schon das nächste Gespräch. Ich werde es in einer Minute noch mal bei ihm probieren.
Nur, um kein unnötiges Risiko einzugehen, rief er Laura auf ihrem Handy an. Er wollte wissen, ob sie bereits sicher in ihrem Auto saß. Falls nicht, würde er sie bitten, sich in der Tiefgarage zu beeilen. Doch es sprang lediglich die Mailbox an. John verzichtete auf eine Nachricht, weil er wusste, dass Laura ihn für paranoid halten würde, und unterbrach die Verbindung.
Er zuckte zusammen, als es an der Wohnungstür klingelte. Augenblicklich beschleunigte sich sein Herzschlag. Sein Instinkt sagte ihm, dass etwas nicht stimmte.
Er legte den Hörer auf und ging zur Tür. Besser gesagt: Er schlich. Vorsichtig schaute er durch den Spion. Vor ihm breitete sich die verzerrte Flucht des Treppenhauses aus. Der Gang war leer, zumindest konnte John niemanden erkennen. Er öffnete die Tür und trat in den T-förmig verlaufenden Flur hinaus. Überall hingen wertvolle Gemälde an den Wänden, und in eleganten Panzerglasvitrinen funkelten erlesene Schmuckstücke. Neben dem ganzen Pomp sorgten riesige Kübel mit üppigem Pflanzenbewuchs für eine angenehme Natur-Atmosphäre, vervollständigt durch leises Wasserplätschern und Vogelgezwitscher, das aus verborgenen Lautsprechern drang.
John blickte nach links und nach rechts, sah aber niemanden in den Quergängen. Auch der Hauptgang lag menschenleer vor ihm. Wer zum Teufel hatte dann bei ihm geklingelt?
In der Mitte des Hauptgangs, etwa fünfzehn Meter von Johns Wohnungstür entfernt, befand sich der Fahrstuhl. Er stand offen, aber John konnte von seiner Position aus nicht ins Innere sehen.
»Laura?« Er war nicht sicher, ob er laut genug gesprochen hatte, und wiederholte den Namen seiner Frau noch einmal.
Keine Antwort.
Er wollte schon wieder in die Wohnung zurück, als ihm etwas auffiel – ein Detail, das nicht in die Idylle aus Pflanzen und Schmuck passte: eine menschliche Hand, die schlaff in der offenen Lifttür lag, den Handrücken nach unten, die Finger gekrümmt, als hielten sie einen unsichtbaren Ball.
John spürte, wie sich alles in ihm verkrampfte. »Laura!« Diesmal brüllte er es, während er gleichzeitig dem Aufzug entgegenrannte. »Laura!«
Was er in der offenen Liftkabine sah, ließ ihn vor Schreck erstarren: ein enthaupteter Männerkörper in dunkelblauer Uniform und mit einem hässlichen roten Fleck auf der Brust. Chester! Der Oberkörper lehnte schwer an der Kabinenwand, die Beine lagen ausgestreckt auf dem Marmor. Und überall war Blut, die Leiche schien regelrecht darin zu baden. John fiel auf die Knie. Ihm wurde schlecht, und er begann zu zittern. Aber er war heilfroh, dass die Leiche nicht seine Frau war.
Ich muss mich in Sicherheit bringen. Das war der erste klare Gedanke, den er wieder fassen konnte. Chester hatte einen Besucher angekündigt, und jetzt war er tot. John musste sein Gehirn nicht besonders anstrengen, um zu erahnen, dass er das nächste Opfer sein sollte.
Er stand auf und rannte zu seiner Wohnung zurück. Als er die Tür hinter sich geschlossen hatte, fühlte er sich ein wenig entspannter. Hier war er sicher, zumindest fürs Erste. Die Tür wirkte optisch zwar wie ein schlichtes Holzmodell, ihr Inneres bestand jedoch aus einem zwei Zentimeter dicken Stahlkern. Ohne Spezialwerkzeug war dieses Hindernis nicht zu überwinden. Andererseits: Wer skrupellos genug war, in das Gebäude einzudringen und den Portier zu töten, fand gewiss einen Weg in die Wohnung. Johns Gefühl der Sicherheit schwand.
Erneut versuchte er, Laura zu erreichen. Wieder sprang nur die Mailbox an. Verdammt!
Ich muss die Polizei informieren, dachte er. In ein paar Minuten wird ein ganzes Team von Beamten hier sein, allein schon wegen
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