Incognita
Chesters Tod. Hoffentlich erwischen sie den Wahnsinnigen, der diese Tat begangen hat!
Er griff nach dem Telefon, wählte die Nummer der Polizei und erklärte, was passiert war. Dabei versuchte er, ruhig zu klingen, wusste aber, dass ihm das misslang. Der Schock saß zu tief, als dass er sich schon wieder unter Kontrolle hatte.
»Ich schicke sofort jemanden vorbei«, sagte die Dame am anderen Ende der Leitung. »Wie lautet die genaue Adresse?«
John nannte sie ihr.
»In Ordnung. Machen Sie sich keine Sorgen. In zehn Minuten ist jemand bei Ihnen.«
John bedankte sich und beendete das Gespräch. Zehn Minuten – eine halbe Ewigkeit. Er musste versuchen, seine Panik zu bekämpfen und durchzuhalten.
Als er ins Wohnzimmer zurückkehrte, erwartete ihn eine böse Überraschung: Auf dem Tisch lag Chesters Schädel, die Augen weit aufgerissen, das Gesicht im Schmerz verzerrt. Aus dem abgetrennten Halsstumpf troff Blut auf die Tischplatte und den Teppich. Ein Bild wie aus einem Albtraum.
Gleich darauf folgte die Erkenntnis: Ich bin nicht allein in der Wohnung!
Raus hier, schrie ihn seine innere Stimme an. Raus aus dem verdammten Penthouse. Auf die Straße, ins Freie. Irgendwohin, wo Menschen sind!
Er machte auf dem Absatz kehrt, rannte in Richtung Ausgang – und erstarrte, als ihm die große, dunkelhäutige Gestalt im Türrahmen entgegentrat. Ein halbnackter Riese, sehnig und zäh und nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Ein Holzpflock steckte quer in seiner Nase. An einem Lederband um seinen Hals baumelte eine Reihe von kleinen hässlichen Schrumpfköpfen. In der Hand hielt er eine Lanze, sein Gesicht war rot-blau bemalt. Ein Jívaro-Krieger, gekommen aus den dunkelsten Tiefen des Amazonas-Dschungels, um John zu töten.
Die Augen des Eingeborenen schienen regelrecht zu glühen, beinahe glaubte John, ihre Hitze in seinem Gesicht zu spüren. Er war vor Angst wie gelähmt.
Der Kopfjäger schien sich Johns Schreckensstarre bewusst zu sein. Langsam, beinahe genießerisch, hob er seine Lanze, bis die Spitze direkt auf Johns Brust zeigte. Er sagte etwas Unverständliches in seiner Heimatsprache. Für Johns Ohren klang es wie ein letztes Wort an einen Todgeweihten. Dann stieß er zu.
Johns Lähmung löste sich gerade noch rechtzeitig. Instinktiv und dadurch blitzschnell wich er der Lanze aus. Gleichzeitig schlug er die Wohnzimmertür mit aller Kraft zu und klemmte dadurch den Arm des Jívaro ein. Ein gellender Schrei hallte durch die Wohnung. Die dunkle Faust öffnete sich, scheppernd fiel die Lanze zu Boden. Ohne nachzudenken stürzte John darauf zu und packte sie mit beiden Händen. Sie war schwerer, als er gedacht hatte, was sie irgendwie unhandlich machte. Dennoch vermittelte sie ihm das Gefühl von Sicherheit. Jetzt war er seinem Angreifer nicht mehr schutzlos ausgeliefert. Er konnte sich wehren, und genau das beabsichtigte er zu tun. Im Urwald hatte er sich mit Schwert und Armbrust verteidigt. Nötigenfalls würde er auch mit einer Hartholz-Lanze zurechtkommen.
Die Tür flog auf und krachte gegen die Wand. John konnte gerade noch rechtzeitig zurückweichen, um nicht getroffen zu werden. Im Eingang stand der Jívaro-Krieger, das bemalte Gesicht zu einer grimmigen Fratze verzerrt. In beiden Händen hielt er jetzt lange Dolche. Vorsichtig kam er näher, Knie und Oberkörper zur Angriffsposition gebeugt.
Entschlossen brachte John die Lanze in Anschlag, doch trotz seines Reichweitenvorteils landete der Eingeborene den ersten Treffer. Er täuschte mit der Linken einen Vorstoß an, und als John mit der Lanze parierte, wich er geschickt aus, um mit der Rechten zuzustechen. Es geschah so schnell, dass John gar nicht wusste, wie ihm geschah. Er spürte nur einen scharfen Schmerz am Oberarm und wusste, dass er verletzt worden war.
Der Treffer rüttelte ihn auf. Konzentrier dich!, schalt er sich. Dieser Kerl will dich umbringen! Du musst schneller sein, wenn du überleben willst!
Die nächsten Attacken wehrte er besser ab, mit jeder Parade gewann er an Geschicklichkeit. Dennoch gelang es dem Amazonas-Krieger, ihn immer weiter in die Defensive zu drängen. Als John einen Widerstand im Rücken spürte, wusste er, dass er die Fensterfront erreicht hatte. Von jetzt an konnte er nicht weiter zurückweichen.
Als der Eingeborene erneut mit seinen Dolchen zustach, rettete John sich nach links auf die Couch. Im Augenwinkel sah er, dass der andere hinter ihm herstürzte. John rollte sich auf den Rücken, winkelte die Beine an und
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