Incognita
Brüsten eingebettet war. Ein magisches Amulett, das ihn wie ein Liebeszauber in seinen Bann zog. Gleichzeitig kam es ihm eigenartig vertraut vor. Vorsichtig, um die Faszination des Augenblicks nicht zu zerstören, ließ John seine Hand über Neyas Haut streichen. Er schob seine Hand unter das Amulett, hob es ein wenig an, sodass er es im Licht der Glut besser erkennen konnte – und erstarrte, halb vor Verwirrung, halb vor Freude: Das vermeintliche Amulett war das Messingkreuz, das Gordon ihm vor seiner Abreise gegeben hatte. Der Anhänger, der ihn in die Gegenwart zurückbringen würde, wenn er die Querstrebe des Kreuzes zusammendrückte.
John bemerkte, dass seine Hand zitterte. Er hatte dieses Kruzifix zum letzten Mal während des Anden-Abstiegs gesehen und geglaubt, es für immer verloren zu haben. Jetzt hielt er es wie durch ein Wunder wieder in seinen Händen.
»Diese Kette bedeutet Euch viel, nicht wahr?«, fragte Neya.
»Ist mir das so deutlich anzumerken?«
»Ihr schenkt ihr weit mehr Beachtung als mir.« Sie lächelte, aber John glaubte in ihrem Antlitz so etwas wie Wehmut zu erkennen. »Findet Ihr mich nicht hübsch, Herr?«
»Oh doch, gewiss«, entgegnete John verlegen. Er spürte, wie ihm die Hitze durch den Körper jagte. »Mein Verhalten ist nicht gerade galant, verzeih mir. Aber sei gewiss, dass es nichts mit dir zu tun hat.«
»Seit ich die Kette nach Eurem Kampf gegen La Roqua gefunden habe, trage ich sie um den Hals«, sagte Neya. »Sie sollte mir Glück bringen, und ich glaube, das hat sie getan. Wir sind uns nähergekommen, genau wie ich es mir wünschte. Aber wenn Ihr die Kette wiederhaben wollt …« Sie ließ den Satz unvollendet, ihr melancholischer Blick machte allerdings deutlich, wie sehr es sie verletzen würde, wenn John das Schmuckstück tatsächlich zurückverlangte. Er seufzte still in sich hinein. Neya hatte in der kurzen Zeit, in der er sie nun kannte, wahrlich genug durchgemacht. Eine Vergewaltigung. Den brutalen Mord an ihrem Mann. Den Abschied von ihrem Kind. Den Verlust ihres Bruders. John wollte ihr nicht auch noch wehtun. Andererseits gab es für ihn ohne die Kette derzeit keine Möglichkeit, endlich wieder nach Hause zurückzukehren.
Er kämpfte mit sich. Weshalb nur bedeutete ihm diese Frau so viel? Im Grunde konnte sie ihm doch gleichgültig sein, er kannte sie ja kaum! Dennoch brachte er es nicht übers Herz, die Kette von ihr zurückzuverlangen. Jedenfalls nicht im Moment.
Ich bin jetzt schon so lange hier, dass es auf ein paar Stunden mehr auch nicht mehr ankommt, dachte er. Wenn es Neya so viel bedeutet, soll sie die Kette noch ein wenig länger tragen. Bei ihr scheint sie gut aufgehoben zu sein. Sie hütet die Kette wie ihren Augapfel, und wenn ich sie darum bitte, wird sie sie mir jederzeit aushändigen.
»Du hast recht«, sagte John leise. »Diese Kette ist ein Glücksbringer. Deshalb gib gut auf sie acht. Leider kann ich sie dir nicht schenken, auch wenn ich sie verloren habe und du sie gefunden hast.«
Neya schaute ein wenig betrübt. »Die Kette gehört Euch gar nicht, nicht wahr?«
»Ja.«
»Gehört sie einer Frau, an die Ihr Euer Herz verschenkt habt?«
»Nein, aber … Es fällt mir schwer, es zu erklären.«
Augenblicklich kehrte Neyas Lächeln zurück. »Ihr müsst es mir gar nicht erklären. Ich wollte nur sichergehen, nicht das Kleinod einer anderen Frau um den Hals zu tragen. Alles andere ist mir gleichgültig. Hauptsache, ich darf die Kette noch eine Weile behalten. Sie gibt mir das Gefühl, Euch stets in meiner Nähe zu haben.«
Mit diesen Worten beugte sie sich zu ihm und küsste ihn auf den Mund. John zögerte, ließ es jedoch geschehen und erwiderte den Kuss schließlich sogar. Neyas Lippen fühlten sich herrlich weich an, ihre Zunge begegnete seinen sanften Liebkosungen zuerst zaghaft, dann immer fordernder. Als John die Augen schloss, tanzte hinter seinen Lidern ein grellbunter Funkenregen wie ein Feuerwerk in dunkler Nacht. Und er wollte mehr davon, viel mehr.
Doch sein Gewissen ließ es nicht zu.
Daheim wartete Laura auf ihn. Durch die wieder aufgetauchte Messingkette hatte er keine Ausrede mehr, sich auf eine Beziehung mit Neya einzulassen. Auch Neya gegenüber wäre es nicht fair gewesen, ihr unerfüllbare Hoffnungen zu machen. Er würde schon bald in seine alte Welt zurückkehren und sie hier zurücklassen, das war unumgänglich. Vorausgesetzt natürlich, dass die Kette funktionierte.
Er löste seine Lippen von Neya und
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