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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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ebenso die Straßen, die Fußwege, selbst die Zäune um die brachen Felder.
    Am Nachmittag passiere ich auf einer wenig Schatten spendenden Allee die Belumhöhlen, in denen vor Jahrtausenden buddhistische und Jainmönche gelebt haben sollen, die aber bis vor zwanzig Jahren als Abfallhalden benutzt wurden. Ein riesiger, schneeweißer Buddha hockt vor dem Eingang auf einer Lotusblume. Mit einem Stock in der Hand kommt mir ein alter Mann einen Hügel hinab entgegen. Er ruft » Good morning «, schüttelt meine Hand und erzählt, dass er zum Sai Baba pilgere.
    Von den Hügeln blicke ich auf ein braunes Chaos aus Stein und Staub, auf Schutthalden bis zum Horizont. Zwei Esel irren schreiend in der Hitze durch die Trümmer. Eine Busreisegruppe hat sich auf einer kleinen Kuppe unter einer windschiefen Tamarinde zur Rast versammelt; eine Windrose steuert aus der Ebene auf sie zu.
    Die Passagiere fliehen in ihr Fahrzeug. Ich springe hinterher. Die verbleibenden 250 Kilometer nach Hyderabad werde ich mit dem Bus fahren. In Deutschland wartet Arbeit auf mich.

Wir sind Indien
    In Hyderabad eine passende Unterkunft zu finden ist schwierig. Die Sternehotels im Nobelviertel Banjara Hills sind teuer und unterkühlt. Und alle Mittelklasseunterkünfte in den Stadtvierteln Abids und Nampally sind ausgebucht. Also checke ich im Harsha ein, einem klassischen indischen Businesshotel zwischen Hauptbahnhof und Altstadt. Über dem WC prangt eine weiße Papierschärpe mit der Aufschrift Disinfected for your Protection . Der Flaschenöffner ist mit einem rosa Bändchen am Kühlschrank befestigt. Das bodentiefe Panoramafenster geht zur Straße hinaus. Die schmalen Gehwege an der Public Garden Road und den umliegenden Durchgangsstraßen sind gesäumt von anonymen Bürogebäuden und wenigen kleinen Geschäften, in denen Lederwaren oder Textilien verkauft werden. Die gaslose Doppelverglasung reicht nicht aus gegen den Verkehrslärm. Um kurz nach Mitternacht versuche ich an der Rezeption ein anderes Zimmer zu bekommen. Vergeblich.
    Nach einer Nacht mit beidseitigem Ohropax besuche ich etwas zerknittert den Charminar, die Moschee mit den vier Türmen, die der Gründer Hyderabads im 16. Jahrhundert bauen ließ, nachdem Allah die Stadt von der Pest befreit hatte. Ich steige die gewundene Treppe hinauf und blicke über die Brüstung auf eine Stadt, die wie ein Mosaik vor mir liegt: Weiße und türkisfarbene zweistöckige Flachdachhäuser erstrecken sich nach Norden zum Begum River, einer breiten, grünen
Flussoase mit Palmen und Schilfstreifen, die die Altstadt vom neuen Teil der Metropole trennt. Irgendwo im Dunst jenseits des Flusses liegt HITEC City, das IT-Zentrum der Dreieinhalb-Millionen-Einwohner-Stadt, ein großzügig angelegter Glasfassadenvorort mit Wurzeln aus Hochgeschwindigkeitsdatenleitungen.
    Aber unter mir schieben sich Mopedfahrer und Fußgänger durch die engen Gassen des historischen Laad Bazar. Händler breiten auf dem Platz vor dem Charminar Granatäpfel und Kürbisse, Orangen und Kartoffeln auf den Ladenflächen ihrer Fahrradtransporter aus. Viele tragen Salwar Kamiz, Pyjama und Hemd, jene Tracht, die aus dem heutigen Pakistan in den Süden kam. Und viele haben ihr Haupt mit einer weißen Kappe bedeckt. Es ist eine fast nordindische Szene. Hyderabad, eine Stadt, in der das indogermanische Urdu und das dravidische Telugu die beiden meistgesprochenen Idiome sind, markiert die Grenze zwischen dem Norden und dem Süden des Landes.
    Ich schlendere hinüber zur Mekka Majid. Auf der Hauptstraße passiere ich die poppigen Poster, mit denen »Fariq Ammunition« und »Nazeer Ammunition« Handfeuerwaffen anpreisen. Ich spähe in eine ausgestorbenen Ladenzeile, in der »Noorie Wedding Collection« und »The Burqa House« ihre Ware offerieren; eine rotblonde Schaufensterpuppe lugt unter einem nicht ganz geschlossenen Tschador hervor.
    Vor der Moschee, einem klotzigen, graubraunen Komplex mit Zwiebeltürmen und fünfundzwanzig Meter hohen Torbögen, posiert eine Mädchenklasse in blauer Uniform zum Erinnerungsfoto. Auf den Mauern des Gotteshauses hocken Schwärme gurrender Tauben. Der Hof ist großflächig mit Schichten von getrocknetem Vogelkot bedeckt. Ein Mann fegt unermüdlich den Steinboden mit einem Zwei-Meter-Palmblattbesen.
    Neben einem trüben, rechteckigen Wasserbecken steht eine niedrige, zerbrochene Bank aus massiven Marmorplatten. Dies muss der Ort sein, an dem am 18. Mai 2007 beim Freitagsgebet eine Rohrbombe explodierte, die elf

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