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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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Gläubige tötete, woraufhin sich ein aufgebrachter Mob einen blutigen Kampf mit der Polizei lieferte. In einem lang gestreckten Pavillon neben dem Hauptgebäude reihen sich die Gräber des Herrschers Nizam Ali Khan und seiner Nachfolger aneinander, eines davon ist mit rot-grünen Tüchern bedeckt. Von der Decke der Haupthalle hängen zentnerschwere, verhüllte Kronleuchter wie schlafende Vampire. Über dem Eingang lese ich ein Schild: Outsider not allowed . »Dieser Bereich der Moschee wird nur am Ende des Ramadan genutzt«, sagt ein Arbeiter, der mit dem Meißel den Boden der Halle aufklopft. »Dann beten hier zehntausend Menschen.«
     
    Mittags speise ich in einem feinen Restaurant im Stadtteil Abids. Ein Mann namens Mohammed Khuddus setzt sich an meinen Tisch. Er trägt einen säuberlich frisierten Vollbart und Adidas-Turnschuhe. Bei Butter-Naan, Geflügel und Joghurt erzählt er mir, dass er vor zwei Jahren nach Hyderabad gezogen ist. »Meine Kinder brauchten ein Zuhause.« Er habe am Golf gearbeitet, dann in den USA, immer in der Mobilfunkbranche. Er fragt mich, ob mich die Geschichte Hyderabads interessiere. Er schlägt vor, seine Bekannten zu besuchen, sie könnten mir viel darüber erzählen.
    Wir steigen in einen SUV der Marke Chevrolet. Khuddus steuert das Auto durch den modernen Teil der Stadt. Ständig bleibt der schwere Wagen in trägen Strömen von Fahrradrikschas, Fußgängern und Kleinbussen stecken. Mitten auf der Straße halten Autos ohne ersichtlichen Grund an und ändern nach einer kleinen Pause, im Schritttempo fahrend,
die Richtung. Auf einer Kreuzung rutscht eine angebundene Ziege aus einer Motorrikscha. Das Tier liegt auf dem Rücken im Staub und schreit erbärmlich. Eine kleine Menschmenge versammelt sich. Ein Polizist mit orangefarbener Warnweste pustet zornig in die Trillerpfeife. Khuddus schimpft über den Verkehr: »Die Leute hier sind so langsam.«
    Im alten Schiitenviertel ist kaum Verkehr. Khuddus bremst den Wagen vor einer unscheinbaren weißen Hauswand mit zwei Windfenstern und einer dunkelgrünen Holztür. Wir treten in einen gepflegten Garten, der in der Nachmittagssonne liegt, ein kleiner Park mit kurz geschorenem Rasen, gestutzten Hecken, blühenden Torbögen und Blumenrabatten. Tauben fliegen von einem olivfarbenen Pfahlhäuschen auf. Neben dem einstöckigen Hauptgebäude liegen schlichte Unterkünfte für die Angestellten. Über eine ausladende Veranda mit runden Säulen führt der Weg zwischen Bäumchen in Terrakottatöpfen ins Herrenzimmer. Die Wände sind vier Meter hoch und von Schwarz-Weiß-Bildern bedeckt, an der Decke hängen zwei Kronleuchter mit vergilbten Glasornamenten, von denen nur einer leuchtet. Ich lasse mich in einen schwarzen Ledersessel fallen.
    Ein schmächtiger kleiner Mann mit länglichem, blassem Gesicht und schütterem Haar tritt in das Zimmer. »Mein Name ist Hasanuddin Ahmed.« Er schüttelt mir kräftig die Hand und macht keine Umschweife. »Junger Mann, wir leben in Zeiten, die ein Samuel P. Huntington mit großem Erfolg unter dem Titel Clash of Civilizations beschrieben hat. Aber ich will Ihnen etwas über eine Kultur erzählen, die genau von dieser Denkweise zerstört wird.«
    Eine schlanke Bedienstete in kariertem Kleid, die aussieht, als wäre sie höchstens vierzehn, reicht Tee auf einem Holztablett.
    »Unsere arabischen Vorfahren sind vor tausend Jahren nach Indien gekommen, wir hatten damals eine mächtige Marine,
wir kämpften gegen Vasco da Gama. Die Araber siedelten an der Westküste, dann stießen sie langsam ins Landesinnere vor. Die Hindubevölkerung war froh über das Wissen, das wir mitbrachten, wir bauten Straßen, wir pflanzten neue Obstsorten, wir organisierten die Verwaltung. Es entwickelte sich eine Mischkultur unter muslimischen Herrschern. Der Letzte von ihnen war Osman Ali Khan. 1948 gab er die Macht ab.«
    Der Alte seufzt, er schiebt seine dritten Zähne hin und her und nimmt einen kleinen Schluck Tee.
    Indiens Probleme hätten begonnen, als die Briten, er nennt sie »Britishers«, den Subkontinent wieder loswerden wollten. »Nehrus Kongresspartei und die Muslim League gingen eine unheilige Allianz mit ihnen ein, um unser Land in die beiden Teile Pakistan und Indien zu spalten. Bei der Teilung 1947 bestand der Nizam darauf, dass der Staat Hyderabad unabhängig bleibt. Aber noch während darüber verhandelt wurde, stampfte der Kongress rund um die Stadt paramilitärische Camps aus dem Boden. Arbeiter und Arbeitslose wurden

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