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Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)

Titel: Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver Schulz
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vom Gebet zurück. Er sitzt neben mir und hüstelt. Es ist ein Wink zu gehen. Ich blicke durch das Fenster. Der Garten liegt im Dunkeln. Die kleine Dienerin tänzelt mit zwei Bündeln dünner Plastiktüten durch das Neonlicht am Ausgang. »Und jetzt haben Sie den Kapitalismus in Ihrem Land«, sage ich. »Und den Terror dazu.«
    »Es ist eine Verschwörung, junger Mann«, erwidert Ahmed. »Von der police action bis zum heutigen Terror.« Er atmet schwer und macht eine Geste mit der Rechten, als wolle er mitsamt hausgemachten Keksen und Teetassen die ganze postkoloniale Welt von seinem Beistelltisch wischen. »Die Anschläge in Mumbai waren eine Aktion des Mossad, die Rohrbombe beim Freitagsgebet in der Mekka Majid haben Hindus gezündet, um die Stadt in Aufruhr zu versetzen. Auch der 11. September war die Tat eines wütenden jungen Mannes. Bestenfalls. Organisiert wurde er vom CIA.«
    Wir verabschieden uns von den Brüdern. Der Chevrolet gleitet durch die kühle Nacht. Erdnussverkäufer haben Kerzen um ihre rollenden Stände angezündet. Großfamilien machen einen Abendspaziergang in einem beleuchteten Park. Auf einer Bank hat ein Mädchen mit Kopftuch den Arm auf die Schulter eines jungen Mannes in T-Shirt gelegt. Ich frage Khuddus, ob seine Familie nach der Rückkehr aus Amerika in Hyderabad Fuß gefasst habe.
    »Meine Frau und mein älterer Sohn schon. Aber mein jüngerer Sohn macht mir Sorgen. Er kennt nur die USA. Er wird hier nicht heimisch. Er zieht herum, läuft durch die Straßen. Er hockt in Internetcafés und Samosabuden anstatt zu lernen.«
    Khuddus begleitet mich in die Hotellobby. » Salam Sir «, sagt der Mann an der Rezeption. »Wir haben ein neues Zimmer für Sie eingerichtet.«

Gebet zu Allah
    Am zweiten Vormittag in Hyderabad treffe ich in dem Stadtviertel AC Guards vor einer Vodafone-Verkaufsbude auf einen Mann, der Tee aus einem sehr kleinen Einwegplastikbecher schlürft. Er ist schwarz wie die Nacht und hat afrikanische Gesichtszüge. Ich frage ihn, woher er stammt. »So genau weiß ich das nicht«, sagt er. Er nennt sich Haled bin Abdalah und zeigt mir seinen Laden, in dem eigentlich nichts zu sehen ist außer einem Tresen aus Pressholz und einem Dutzend Windräder des britischen Mobilfunkunternehmens, die mit Draht unter dem schrägen Wellblechdach befestigt sind. Haled trägt ein weißes T-Shirt, weiße Turnschuhe und eine enge Markenjeans. Er ist stämmig und wendig. Er gießt mir Tee aus einer roten Thermoskanne ein. Er sei ein Siddi, sagt er, seine Vorfahren seien vor etwa zweihundert Jahren von irgendwo aus Afrika nach Indien gekommen. »Unsere Großväter waren Soldaten, Reiter. Sie waren die African Cavalry Guards des Nizam. Daher auch der Name dieses Viertels.« Hundertdreißig Siddi-Familien gebe es in Hyderabad. »Aber auch anderswo in Indien. In Karnataka, in Gujarat. Und auch in Pakistan.« Zwanzig- bis dreißigtausend Siddis soll es in Indien geben.
    Er wirft den Plastikbecher in den Graben vor der Bude. Ich blicke die Straße hinab, eine monotone Reihe schmuckloser, einstöckiger Häuser, darin einzelne Geschäfte und eine Moschee mit grünem Metalltor. Der Mittelstreifen ist mit niedrigen Phönixpalmen besetzt. Haled zieht die Nase hoch
und die Stirn in Falten. »Nach der Unabhängigkeit wurde die Armee aufgelöst. Viele Siddis wurden arbeitslos. Aber heute sind wir ganz normale Hyderabadi. Muslime wie die anderen.« Manche Siddis seien bekannte Musiker oder Hockeyspieler. »Aber die meisten machen ganz gewöhnliche Arbeiten.«
    Ein dünner Alter betritt den Laden, er will sein Prepaidhandy mit fünfzig Rupien auffüllen. »Dieser Mann hier hatte allerdings einen besonderen Job«, sagt Haled. »Er war Leibwächter. « Der Alte heißt Esa bin Omar. Weiße Bartstoppel wuchern über sein kantiges Kinn, krause schwarze Haare wachsen um die Glatze. »Ich hole ein paar Bilder«, sagt Esa kurz, verschwindet schnell in einem Haus auf der anderen Straßenseite und kommt nach zehn Minuten mit drei großen abgewetzten Plastiktüten in den Händen wieder. Er hockt sich auf einen Plastikstuhl, fingert vergilbte Zeitungsartikel, Fotos und sehr verschwommene Fotokopien von Fotokopien aus den Tüten. Seine Stimme ist rau: »Hier bin ich mit dem Sai Baba, hier mit dem Innenminister von Andhra Pradesh.« Ein Bild zeigt ihn in stolzer Pose in einer Reihe mit anderen Sicherheitsmännern, das Gewehr an einem Gurt über der Schulter. Im Zentrum des Fotos lächelt ein kerniger südindischer Sunnyboy.

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