Indien zu Fuß: Eine Reise auf dem 78. Längengrad (German Edition)
Offiziersanwärter für die Ostindien-Kompanie nach Indien, in den folgenden sieben Jahren diente er in Bengalen. Während der britischen Besetzung von Niederländisch-Ostindien zwischen 1814 und 1816 übernahm er einen Vermessungsauftrag auf Java.
Als Everest 1819 die Vermessungen für den Great Trigonmetric Survey beginnt, ist er ein hochdekorierter junger Leutnant, der sich von nichts aufhalten lassen will. Mitten im Monsun peitscht er seine Mannschaft in den Dschungel. Doch die vierzig Soldaten aus Hyderabad, die der Nizam Sikander Jah ihm zur Seite gestellt hat, weigern sich, die drohenden Strapazen auf sich zu nehmen. Einige versuchen offenbar aus dem Lager zu fliehen. Everest ist schnell überfordert. Er will ein Exempel statuieren, er lässt einen Delinquenten öffentlich
züchtigen. Und dadurch den Zorn der indischen Soldaten explodieren. Sie greifen zu den Waffen, sie drohen gemeinsam abzuziehen. Der Leutnant befiehlt seiner hauseigenen Eskorte, zwölf Mann, die in britischem Gebiet rekrutiert worden waren, auf die Meuterer anzulegen. Die Rebellen geben dem Druck nach. Der Expeditionsleiter lässt drei von ihnen vor den Augen der anderen verprügeln. »Damit wurde«, so notiert er, »sehr früh in meiner Karriere ein umstrittener Punkt geklärt, der für Colonel Lambton eine Quelle ständigen Disputs und Ärgernisses dargestellt hatte, seit er in das Territorium des Nizam vorgestoßen war.« Sehr früh wurde damit auch ein neuer Führungsstil deutlich. Hatte Lambton mit Toleranz und Geduld reagiert, wenn das Unternehmen ins Stocken geriet, so führte Everest seine Mannschaft mit unnachgiebiger Härte.
Doch seine Expedition kommt deshalb nicht schneller voran. Unter seinen Mitarbeitern grassiert die Malaria. In Everests Aufzeichnungen findet sich eine Passage, die beschreibt, wie die Männer »durch den wildesten und dichtesten Wald, den ich je betreten hatte«, einen heiligen Berg nahe einem Dorf namens Yellapuram am mittleren Godavari erklimmen. Und wie innerhalb von nur fünf Tagen fast alle der hundertfünfzig Männer erkranken: Träger, Elefantenführer, Läufer und Gehilfen. Verzweifelt schreibt Everest: »Es schien, als habe sich schließlich der Geist des Dschungels zornig erhoben, um diese Männer für den Frevel zu züchtigen, dass sie es gewagt hatten, die Heiligkeit des von ihnen erkorenen Ortes zu verletzten. So blieb nur noch, möglichst viele Teilnehmer der Expedition nach Hyderabad zu führen … (und) enttäuscht und geschlagen die gesamte Strecke von fast zweihundert Meilen zurückzulegen.«
Auf Sänften und Karren, mit Elefanten und Kamelen werden die Pioniere aus dem Dschungel geholt. Drei Wochen
benötigen sie für den Rückweg, auf dem »das Dschungelfieber meine Gruppe verfolgte wie ein Schwarm aufgebrachter Bienen. « Fünfzehn Männer sterben unterwegs. Die Überlebenden »besaßen nur noch wenig Ähnlichkeit mit menschlichen Wesen, sondern sahen aus wie Leichen, die man frisch aus dem Grab gezerrt hatte«.
Für Everest sind die ersten Monate der Triangulierung ein höchst unglücklicher Einstieg, für die gesamte Unternehmung zwar ein herber Rückschlag, aber nichts Außergewöhnliches: In den kommenden Jahrzehnten sollten noch weitaus mehr Mitarbeiter ihr Leben für das Projekt lassen.
Unser Jeep erreicht den Pass, dahinter erstreckt sich ein breites Tal. Die Häuser haben Schindeldächer und Holzwände, zwischen den Weilern und Höfen liegen Baumwoll- und Maisfelder und Viehweiden. Frauen mit Brennholz auf dem Kopf laufen darüber; manche transportieren halbe Bäume. Traktoren mit überladenen Anhängern liefern Baumwolle an Kooperativen, die weißen Berge lagern, unter Planen zusammengedrückt, vor offenen Hallen. Die Straßengräben sind von einer Watteschicht gepudert. Und alle fünf Kilometer steht ein Polizeiposten.
In Adilabad sitzen Blumen- und Fischhändler am staubigen Straßenrand, die Fassaden schmaler Geschäfte sind bunt bemalt. Die Foyers der Hotels Laxmi und Ravitja wirken in der Hitze und dem Staub absurd gewienert. Auf das Dach eines Hauses ist das originalgroße Betonmodell eines Kampfhubschraubers geklebt. Auf einem ungepflegten Kricketplatz üben Jungen in schneeweißen Schuluniformen Werfen. Die Polizeiwache an der zentralen Kreuzung in der Stadtmitte duckt sich hinter Mauern und Doppelreihen von Stacheldraht. Zwei schmale Durchlässe, die wie überdimensionale
Schießscharten wirken und nur über eine Rampe zu erklettern sind, bilden den Eingang.
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