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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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lange einschlagen auf sein dummes Gesicht, bis die Knochen nachgaben. Selber schuld, dachte er. Wenn du die Tür versperrt hast, bist du tot. Hängt ganz von dir ab. Er starrte auf die Tür, auf ihren Knauf, auf ihr Schlüsselloch, auf die Fußmatte, wie um ihr die enorme Tragweite der bevorstehenden Entscheidung klarzumachen.
    Er drückte die Klinke herunter.
    Die Tür gab nicht nach.
    Verdammt! Robert gab ein verzweifeltes Fauchen von sich.
    Er hielt sich den Kopf mit beiden Händen, drehte sich hin und her, was sollte er tun, was sollte er – 
    – Du verfluchtes Scheißding!
    Er versetzte der Tür einen kräftigen Tritt. Zuerst zeigte sie sich davon unbeeindruckt. Aber dann knackte es plötzlich. Etwas Kleines aus Metall fiel zu Boden. Robert drückte probeweise mit der Hand gegen das Holz.
    Er musste sich zwei Finger an die Lippen halten, damit sie nicht aufsprangen und einen Jubellaut entließen. Mit der fremden Wohnung betrat er eine andere Dimension. Die Dimension der Fantasie. Er streifte sich die Schuhe ab. Diese höfliche Geste gab ihm ein perverses Gefühl der Genugtuung. Er würde hier alles zerstören.
    In der Wohnung roch es nach Frau.
    In einem Regal entdeckte er einige Bücher von Elisabeth Kübler-Ross. Er war erstaunt, derart obszöne Schmuddelliteratur hier zu finden. Daneben natürlich Sci-Fi, der halbe Schrank voll, anerkennend strich er mit der Hand über die Buchrücken, zog einen Band heraus und stellte sich vor, wie dadurch ein Mechanismus in der Wand aktiviert wurde, eine Plattform drehte sich und gab den Weg auf zwei Rutschstangen in die Tiefe frei. Und daran glitt man hinab ins Erdreich, in lächerlich verwinkelte Verliese, wo Tiere und Menschen in Käfigen warteten, dass man medizinische Experimente an ihnen vornahm. Und Robert befreite einen in seiner Isolation halb wahnsinnig gewordenen Hahn aus dem Käfig, und der Mann im Nebenkäfig, ein aufgequollenes Exemplar von Mensch, bettelte auch darum, freigelassen zu werden, deutete auf seine Zunge, die man ihm versengt hatte, und er brachte noch einige Brocken Menschensprache hervor, was so klang, als wollte jemand mit einem Mund voller Steine Lateinisch sprechen, aber Robert wandte sich von ihm ab und ging mit dem Hahn an der Hand (Flügelspitze in Handfläche) wie mit einem Kind den Weg zurück. Dann stand er vor dem Problem, über die Rutschstangen wieder nach oben in die Wohnung zu kommen, und verlor die Lust an seiner Fantasie. Er stellte das Buch – Samuel Delanys Dhalgren  – wieder zurück. Er hatte es vor Jahren gelesen und kaum eine Seite davon verstanden. Irgendwas mit zwei Monden und einer riesengroßen roten Sonne und einer Stadt, die sich ständig veränderte. Dagegen das hier … Robert hatte ein anderes Buch entdeckt, das eher seinen Vorlieben entsprach: Boy Wonder –  die Autobiografie von Burt Ward. Weißt du, Robin, Bücher zu schreiben ist der Schlüssel zum Weltfrieden. Wenn alle Menschen ihre Autobiografie schreiben würden, dann würden wir uns alle verstehen.
    Willi hatte einen guten Geschmack, insgesamt. (Robert biss sich auf einen Finger, um nicht brüllen zu müssen.) Bis auf die Schweizer Sterbebegleiterin, dieses unerträgliche Weib mit den immer gleichen Fragen, waren seine Bücher ganz in Ordnung.
    Die Nachmittagssonne fiel ins Zimmer, ein rötlicher Schein, der sagte: Ich weiß, dass du hier bist, du gehörst nicht hierher.
    Robert stellte sich vors Fenster und schaute hinaus. Ferenc, Interferenz, dachte er. Alte Geschichten, die er nicht mehr kannte. Der Mann bei der Preisverleihung. Clemens Setz. Haut abziehen.
    He, wer zum Teufel sind Sie?, sagte das Schlafzimmer, als er es betrat. Da die Gegenstände in diesem Raum ihm ein wenig feindlich gesinnt zu sein schienen, zog er die Vorhänge zu. Dasselbe tat man ja auch bei bestimmten Raubvogelarten. Verband man ihnen die Augen, wurden sie friedlich und hatten keine Angst mehr vor den Menschen, die unverständliche Dinge mit ihnen vorhatten.
    Robert schaute sich um und dachte nach. Er rief sich noch einmal das Bild von den beiden ins Gedächtnis. Der Arm von Cordula, der sich um Willis Schulter legte, und dann dieser Eskimokuss, das Aneinanderreiben der Nasen. Nasen … Er musste an schlimme Gerüche denken, an den Gestank in dem Zimmer der Hure, mit der er zum ersten Mal Paarung gespielt hatte. Seine Vorstellung, dass überall im Raum, in winzigen Spuren, Hinterlassenschaften und DNA-Proben zu finden waren, auf den Borsten der Zahnbürsten, in

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