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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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Mauer. Raue Oberfläche, Fingernägel, Gänsehautgefühl.
    – Woher haben Sie denn das alles?, fragte Dr. Rudolph. Schreibt dieser Mörder jetzt wieder seine elenden Artikel?
    – Ich habe ihn besucht, sagte Robert.
    – Was?
    – Ich habe ihn besucht. Er hat sich sogar noch an mich erinnert.
    – Um Gottes willen, Robert, das ist doch … Entschuldigung, Herr Tätzel.
    – Schon okay, Sie können mich gern – 
    – Aber das ist doch gefährlich! Dieser Mensch, der ist … der ist nicht normal. Der … ach, Sie müssen verstehen, wie das damals war. Wir wussten noch so wenig darüber. Und Ihre Zahl ist stetig größer geworden. Solche Veränderungen haben uns damals einfach … kalt erwischt, verstehen Sie?
    Robert schloss die Augen. So stand er eine Weile da, dann machte er die Augen wieder auf und nahm eine kleine Figur aus einem Buchregal. Ein kleines Plastikreh. Er blickte Dr. Rudolph an, lächelte und steckte sich die Figur in den Mund. Er ließ zwei Sekunden verstreichen, dann nahm er sie wieder heraus, wischte sie an seinem Ärmel ab und stellte sie zurück.
    – Das alles ist ganz wunderbar, sagte er und ging auf Dr. Rudolph zu.
    – Wie? Also, ich – 
    Die Hand des Direktors wanderte an seinen Hals.
    – Wunderbar, alles großartig, sagte Robert. Ich muss Ihnen die Hand schütteln. Sie haben meine Zweifel zerstreut.
    – Freut mich, aber … Was genau meinten Sie damit, dass Sie ihn besucht haben? Er empfängt doch keine Besuche, soviel ich weiß, oder …
    – Er war eigentlich ganz nett.
    – Du liebe Zeit. Na ja, dann haben Sie wahrscheinlich Glück gehabt. Aber Sie müssen vorsichtig sein. Er hat bestimmt immer noch Kontakte.
    – Nur das Lesen hat ihm Schwierigkeiten bereitet.
    – Das Lesen, ach so, ja, sagte der Direktor verwirrt.
    Robert wusste nicht, warum er das gesagt hatte. Das Lesen. Wie war er darauf gekommen? Am liebsten hätte er sich die Stiefel ausgezogen und sie durch den Raum geschleudert. Oder in Dr. Rudolphs Kopf gebissen, in diesen runden, im Alter noch glühbirnenartiger gewordenen Menschenkopf, nur ein kleiner Biss in die Stirn, dort, wo die alternde Haut so ein gehirnartiges Gekröse-Dings bildete.
    Er schüttelte sich, um die Vorstellung loszuwerden.
    – Wie geht es Ihren Eltern?, fragte Dr. Rudolph.
    – Fantastisch, sagte Robert und streckte die Arme aus, als wollte er den ehemaligen Direktor umarmen.
    Dieser wich einen Schritt zurück, kam aber gleich wieder näher, als korrigiere er damit eine äußerst unhöfliche Geste. Robert griff sich an die Stirn:
    – Ich habe ziemliche Kopfschmerzen, sagte er. Kennen Sie das?
    – Ja, ich schätze schon. Und Sie sind ja auch ganz nass, Herr Tätzel, Sie hat wohl der Regen erwischt.
    – Ach ja, der Regen.
    – Sie hätten einen Schirm nehmen sollen.
    – Einen Schirm. Das ist eine fantastische Idee, Herr Direktor.
    Das Gesicht von Dr. Rudolph sah aus wie ein Schnappschuss. Die Augenlider hingen herab, der Mund war halb offen. Hätte ersich jetzt im Spiegel gesehen, wäre er wahrscheinlich erschrocken und hätte sofort seinen Gesichtsausdruck korrigiert.
    Robert schwieg.
    Gegen die Fensterscheiben prasselten die Regentropfen, unregelmäßig und dicht wie die Signalzeichen eines Geigerzählers. Mal erinnerten sie an einen Trommelwirbel, mal lockerten sie sich zu dem nervösen Geklapper von Fingernägeln auf einer Tischplatte.

11  Der Spaziergang
    [Grüne Mappe]
    Das Licht an diesem Frühsommertag war diesig, feucht und vibrierend. Wie ein Nystagmus des Sonnenballs. Die ganze Gegend, der ganze Bezirk war erfüllt von dem alles in sanften Schwindel versetzenden Van-Gogh-Brausen in den Sträuchern und Büschen, die Wolken zogen schwer und satt über den Himmel, wie Schablonen, die durch das Bild eines Overheadprojektors geschoben wurden, der Wind erwachte alle paar Minuten aus unruhigen Träumen und fegte über alles hin, als wolle er reinen Tisch machen, alles vergessen, von ihren Besitzern zurückgelassene Fußbälle und Plastiksäcke lagen auf einer Wiese, und über die kahlen Wände der parknahen Hochhäuser zogen Wolkenschatten, die sich abwechselten mit einer sekundenlang aufglühenden Sonnenlichtglasur.
    – Xenopathische Menschen?, fragte Julia.
    – Ja, so haben sie das genannt, bei dieser Schwitzkur, das war auf dem Dach, und einer hat gesagt: Ich bin zur Hälfte xenopathisch! Wow, toll ... Spüren wir etwas? Nein. Sag Indigo, du Idiot! Xenopathisch, verdammtes Scheißwort! Du bist ein

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