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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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zweiter Ordnung. Das Lehrbuchwissen war wie weggeblasen. In meinem Kopf gab es nur ein Bild von einem flachen Kegel. Ich atmete tief durch, sagte mir, dass ich doch soeben einen Kaffee getrunken hätte und mit Sicherheit gleich dessen Wirkung spüren würde, und stand auf.
    Mein Blick fiel auf einige Blätter, die auf dem Lehrertisch herumlagen.
    Für R. T. stand auf einem der Zettel. Ich drehte ihn um. Es war ein kopierter Artikel aus einer wissenschaftlichen Zeitschrift.
    Ein Bild zeigte eine Biene, deren Hinterteil zerstört war. Ich las die Bildunterschrift. Nicht immer sterben Bienen, nachdem sie ihren Stachel zur Verteidigung verwendet haben. Diese Biene lebte sieben Stunden ohne ihren Stachel.
    Mir wurde schwindlig, und ich musste mich an der Tafel hinter mir festhalten.
    Auf einem anderen Bild in dem kopierten Artikel sah man die Biene, wie sie in einer kleinen weißen Kiste lag, nutzlos und ihrer Natur nach schon längst über den Tod hinaus. Verwirrt. Ohne Halt.
    – Entschuldigung, sagte ich und rannte aus dem Hörsaal.
    Ich stellte mir vor, das Gras unter mir wäre ein Kind in einerWiege. Ich würgte einige Male, aber es kam nichts, nur der Geschmack von verbranntem Kaffee stieg mir die Speiseröhre hoch, vermischt mit Magensäure. Das Einzige, was ins Gras fiel, waren die Tropfen, die über meine Wangen liefen.
    Ich drehte mich um und wollte in den Hörsaal zurückgehen. Aber dann ging in einige Schritte rückwärts. Als wäre ich falsch eingestellt. Umgekehrte Bedienung.
    Im stillen, verlassenen Lehrerzimmer setzte ich mich in eine Ecke und rief Julia an. Es dauerte, bis sie ans Telefon ging. Im Hintergrund hörte man hohes, wirres Quietschen. Das Krähen des neuen Hahns wahrscheinlich. Oder die Fledermäuse hatten sich wieder gestritten. Dazwischen das Gerüttel an Käfigen.
    – Ah, du bist auch noch nicht zu Hause?, fragte ich.
    – Nein, wo bist du?
    – Ich hab eine Nachmittagseinheit. Ausnahmsweise. Aber mir ist schlecht geworden.
    – Arschlöcher.
    – Ja. Das ist der seltsamste Job, den man sich vorstellen kann.
    – Meiner ist seltsamer, sagte Julia.
    – Das Tierheim? Na ja, ich weiß nicht …
    – Bei dir verstehen sie wenigstens deine Sprache, sagte sie. Ich muss jedes Mal eine neue erlernen. Das ist schwierig.
    – Wie geht’s dem Hahn?
    – Wird aufgepäppelt. Ich glaube, er mag mich.
    – Hast du ihm schon einen Namen gegeben?
    – Ja.
    – Welchen denn?
    – Mmmh, ist noch zu früh, das zu verraten. Er muss sich selbst noch dran gewöhnen.
    – Im Ernst, dieses Praktikum ist überhaupt nicht lustig.
    – Es gibt doch keine anderen Stellen. Hast du selbst gesagt.
    – Ja, wozu gibt es uns überhaupt? Wir sind überflüssig.
    – Ich auch?
    – Nein, ich meine, wir Lehrer. Ich hätte lieber Rapper oder Graffitikünstler werden sollen.
    – Oder Fledermaus.
    – Ja, genau. Wie geht’s denen?
    – Hm. Schwer zu sagen. Sie sind etwas introvertiert. Sie machen einfach die Vorhänge zu und lassen niemanden mehr an sich heran. Ich bin so was wie die Mediatorin.
    Ich schloss die Augen und wartete, bis der Spannungskopfschmerz vorbeizog.
    – Dir ist schlecht geworden?, fragte Julia. Richtig schlecht?
    – Nein, nicht richtig. Das ist alles so absurd, diese Schüler, ich meine, ich weiß gar nicht, was das alles soll.
    – Das weiß niemand.
    – Sie sitzen hier in diesem riesigen Haus, weit voneinander entfernt, und he, das hab ich dir noch nicht erzählt, die Vögel hier … oder hab ich’s schon erwähnt?
    – Nein, was?
    – Die Vögel hier sind total komisch drauf.
    – Inwiefern?
    – Ach, ich weiß nicht … Meine Konzentration geht wieder weg. Ich spüre es. Als würde man mir eine Schnur aus dem Körper ziehen.
    – Inwiefern sind die Vögel komisch drauf?
    – Wer?
    – Ach, egal. Du klingst müde. Musst du wirklich noch bleiben?
    – Ich hab mit diesem Sack getauscht, mit diesem Ulrich. Biologieprofessor. Sieht aus wie Virginia Woolf. Exakt dasselbe Profil.
    – Ekelhaft.
    Das Lehrerzimmer sah aus wie der Wartebereich eines kleinen Provinzbahnhofs. Abgerundete Sitzbänke aus altem, erfahrenem Holz standen darin herum. Braun war die vorherrschende Farbe. Es gab einen Schrank mit Lehrbüchern und Lernmaterialien, es gab einen Globus, ein mehrstöckiges Kopiergerät und sogar einige menschenhohe Topfpflanzen.
    – In der Nachmittagseinheit, sagte ich, im Hörsaal. Da hab ich was Schlimmes gesehen.
    – Was denn?
    – Was ganz

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