Indigo (German Edition)
Plastikdinosaurier hüpfte über meine Schulter. Julia hatte sich bei mir eingehakt, wir gingen durch die spätwinterlichen Straßen des Bezirks, und sie spielte mit dem kleinen Tier. Im Scherz nannte sie den Plastik-dinosaurier meinen Therapeuten.
– Das ist eine komische Welt, sagte ich. Ich verstehe nicht mehr, wo ... was ... der arme Junge hat psychische Probleme, und sie ruft diesen komischen Typen aus Wien an, diesen Verein für die Gleichstellung von ... Ach, was weiß ich, wofür die sind.
– Du darfst dich nicht so in diese Sache hineinsteigern, sagte Julia und ließ den violetten Dino durch ihre Finger gleiten. Du bist längst weg aus dem Institut. Du hast die beiden Artikel geschrieben. Deine ständigen Kopfschmerzen sind besser. Und ich bin froh, dass du mehr zu Hause bist.
– Ich glaube, da ist etwas Ungutes ...
– Was?
– Ich meine, die machen irgendwelche merkwürdigen Sachen, ich weiß auch nicht, ich konnte zum Beispiel nicht herausfinden, was Relokationen wirklich sind. Alle verwenden das Wort, als wär’s ganz normal, und dann dieses komische Tunnelprojekt und jetzt der arme Junge, ich meine, du hättest ihn sehen sollen, er hat diese riesige Pappmaske aufgehabt, als ich sie damals besucht habe, das ist doch nicht normal –
Julia nahm meine Hände.
– Du redest viel zu schnell, sagte sie. Da kommen deine Gedanken ja nicht mehr hinterher.
– Und dann Ferenc.
– Wer?
– Ich hab keine Ahnung, wer er ist. Oder was. Aber ich hab damals gehört, wie der Dr. Rudolph am Telefon –
– Der, der dir das blaue Auge verpasst hat?
– Ja, ja, aber das ist egal. Er hat mit ihm telefoniert, und er hat diesen Schüler erwähnt, dessen Eltern ...
Die enorme Masse der zu erzählenden Einzelteile ballte sich vor mir zusammen, und ich konnte nicht mehr weitersprechen.
– Damit hast du doch nichts zu tun.
– Aber warum ruft diese Frau mich dann an und deutet an, ich sei schuld daran, dass es ihrem Sohn schlechtgeht.
– Weil sie dumm ist.
– Ich weiß nicht. Da ist noch was anderes. Vielleichtsollte ich diesen Typen fragen, diesen Baumherr, von der APUIP in Wien, ich meine, der muss ja wissen, was das alles soll. Frau Stennitzer hat mir am Telefon gesagt, dass er bei Relokationen dabei war und dass er –
– Clemens, nicht so schnell. Man kommt ja gar nicht mit! Wir gingen eine Weile schweigend nebeneinander her. Auf einem Kanalgitter hockte, zusammengefaltet und wie zum Froschsprung bereit, ein verlorener Handschuh. Hellbraunes Leder, kleine Löcher in den Fingern.
– Schau, sagte ich.
Julia blickte auf den Boden.
– Da, sagte ich und zeigte ihr den Handschuh.
Sie ging näher ran und berührte ihn mit der Schuhspitze.
– Der Arme, sagte sie.
Wir gingen weiter.
– Hast du eigentlich weitergeschrieben?
– An was?
– An dem, wozu ich dir geraten habe. Deine Ablenkungsgeschichte. Die von dem Schüler, der älter –
– Jajaja, sagte ich. He, weißt du, was das Graffiti-Dings da drüben sagt?
– Was?
– Wascht eure Wäsche.
– Das erfindest du.
– Doch, steht da. Wascht eure Wäsche.
– Sicher doch, sagte Julia.
– Und das Haus da hat einen Wetterhahn, der allerdings eine Eule ist.
Julia hängte sich wieder bei mir ein und drückte meinen Arm enger an sich.
– Aha, sagte sie. Und wie sieht die Eule aus?
– Wie ein Wetterhahn, sagte ich, und wir lachten.
An der Unterführung am Kalvariengürtel fanden wir den zweiten Handschuh, das spiegelverkehrte Ebenbild desersten. Er lag in ähnlicher Haltung auf der Erde, neben einem mit Schnee gefüllten öffentlichen Müllbehälter.
– Ach, sagte Julia, jetzt müssen wir umkehren und den anderen holen. Verdammt.
Schweigend setzten wir uns in Bewegung.
– Die Einsamkeit der Handschuhe, sagte ich.
– Clemens? Kannst du etwas versuchen?
– Was?
– Kannst du versuchen, etwas mehr Distanz zu dem ganzen Zeug zu bekommen?
– Das ist schwer. Versuch du einmal, Distanz zu deinen Tieren aufzubauen.
– Okay. Aber fahr nicht nach Wien zu diesem Baummenschen, in Ordnung? Ruf ihn zuerst an. So, wie normale Menschen das machen.
2 Du musst das Holz
respektieren, Robin
Ein untrügliches Anzeichen der kälteren Jahreszeit: jedes Stäubchen, jeden Fleck im ersten Augenblick für ein Käfertier, für eine sitzende Fliege zu halten. Dann die fortgesetzte Enttäuschung, dass es nichts ist, nur ein Farbklecks oder ein Riss im Verputz. Überall, an den Hauswänden,
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