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Indigo (German Edition)

Indigo (German Edition)

Titel: Indigo (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clemens J. Setz
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den Mauern im Hof, aber besonders in der Luft, fehlten die kleinen Wesen. Tröstlich waren nur Erinnerungen. An das eine Mal zum Beispiel, als er beim Spazierengehen auf dem Institutsgelände, auf dem Weg hinauf zur sogenannten Preinerwiese, an einem wuselnden Ameisenhaufen vorbeigekommen und plötzlich von einem intensiven Trost erfüllt worden war angesichts der Vorstellung, dass er sich eines Tages auf viele, viele winzig kleine Tiere verteilen würde.
    Robert fühlte sich gut, aber seltsam erschlagen. Erschöpft. Wie der feuchte Boden eines Brunnenschachts. Er hörte auf seinem iPod in Endlosschleife das neue Album von The Resurrection of Laura Palmer und las dazu einen amerikanischen Science-Fiction-Roman, der Nuclear Family Therapy hieß und in dem es um ein verheiratetes Paar, George und Jody, und dessen kleine Tochter Danielle ging. Cordula hatte ihm das Buch in die Hand gedrückt. Da, lies das. Bringt dich vielleicht auf andere Gedanken. Die Familie im Roman verlässt den Planeten Erde in einer selbstgebastelten Rakete, um auf einem Asteroiden ein neues Zuhause zu finden. Auf der Erde haben sie es einfach nicht mehr ausgehalten, besonders der Vater, George, er hatte mit seinen Nachbarn einen jahrelangen Grenzstreit ausgetragen. Außerdem ist die Erde radioaktiv verseucht. Bereits beim Start geht das Gemecker los, Jody schimpft mit George, weil er die Triebwerke um ein paar Sekunden zu früh gezündet hat, und auf den nächsten vierzehn Seiten wird nur gestritten. Sie landen auf dem Asteroiden und bauen sich ein Haus, was ebenfalls von andauerndem Streitenund Brüllen und dem Zerbrechen kleiner, wehrloser Dinge begleitet wird. Danielle ist meistens vollkommen ruhig, vielleicht auch in einer Art Angststarre, aber manchmal beteiligt sie sich an einem Streit ihrer Eltern und kreischt unartikuliert und schrill dazwischen. Dann wird sie von beiden streng zurechtgewiesen, sie solle sich nicht in Dinge einmischen, von denen sie nichts verstehe. Irgendwann geht das Bier aus. Die Vorratskammer ist relativ klein, und da Jody für die Konstruktion der Familienrakete zuständig war, wirft George ihr brüllend vor, dass sie das absichtlich getan habe. Natürlich, brüllt sie zurück, glaubst du, ich will ein Leben lang mit einem Säufer zusammenleben? Und so weiter, auch auf den nächsten sechzig Seiten wird gestritten. Dann geht George in das Zimmer von Danielle und weckt sie auf. Er drückt ihr zwanzig Erdengeldeinheiten in die Hand und sagt ihr: Holst du mir bitte ein paar Kisten Bier, Liebes? Aber Dad, sagt Danielle, es ist schon so spät, und die Erde ist doch radioaktiv … Keine Angst, sagt George mit zitternder Stimme, es ist nicht so schlimm, wenn du dich nur ganz kurz in der Zone aufhältst, einfach schnell rein und raus, du darfst die Rakete auch selbst zünden, einverstanden? Und er lässt den Zündschlüssel über ihrem Kopf pendeln.
    Robert warf das Buch in die Ecke. Schnaufend stand er auf, riss sich die Knopfhörer aus den Ohren und ging quer durchs Zimmer, dann griff er nach der Jeans, die zufällig vor ihm auf dem Boden lag, und begann an ihr zu zerren und zu ziehen. Natürlich war der Stoff zu fest, er konnte ihn nicht zerreißen. Er zog noch eine Weile, bis ihm die Kraft ausging, dann lief er zu Cordula.
    – Warum gibt du mir so einen Unsinn zu lesen?
    – Robert! Du bist ja ganz rot im Gesicht. Was ist passiert?
    – Was passiert ist? Du gibst mir lächerlichen Müll zu lesen, das ist passiert!
    – Schrei doch nicht so. Hat es dir nicht gefallen?
    Robert wusste nicht, was er sagen sollte. Vielleicht wollte sie ihn fertigmachen. Sie saß vollkommen ruhig auf einem Küchenstuhl neben dem Fenster, hatte ein Knie angewinkelt, rauchte undschaute hinaus. Vor ihr stand der Aschenbecher, den er ihr geschenkt hatte. Er sah sich den Aschenbecher nehmen und damit auf sie einschlagen. Aber dann sagte er:
    – Es ist überhaupt nicht lustig.
    – So? Na ja, ich hab’s schon ziemlich ulkig gefunden. Wie weit bist du gekommen? Haben sie schon den außerirdischen Therapeuten getroffen?
    Robert schüttelte den Kopf.
    – Ich werde …, sagte er. Du weißt schon.
    Er deutete auf seinen Mund und formte Daumen und Zeigefinger zu einer Tablette.
    – Okay, sagte Cordula und wandte sich wieder dem Anblick der Stadt zu.
    Dächer, Balkone, Satellitenschüsseln. Baukräne, Wolken.
    Nachdem Robert eine Dosis Sviluppal geschluckt hatte, stellte er sich ans Fenster und wartete auf die Wirkung. Kleine chemische

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