Indigosommer
Ding so noch enger saß. Mit dem Brett unter dem Arm, das ich mit der Fangleine an meinem Handgelenk gesichert hatte, lief ich ins Meer. Als ich
bis zu den Hüften im Wasser stand, legte ich mich auf das Boogie und paddelte los. Das Wasser war kalt, aber nach einer Weile spürte ich das nicht mehr. Die schnellen Bewegungen und der Anzug wärmten mich.
Ich strengte mich an, paddelte wie eine Wilde und war schließlich dort, wo ich hinwollte: ganz allein draußen in der Bucht. Obwohl das kalte Wasser meine Hände langsam taub werden ließ, war es herrlich. Ich drehte mich um, sodass ich den Strand sehen konnte. Unsere bunten Zelte zwischen dem Schwemmholz, die in der Sonne leuchtenden Surfbretter. Dahinter der Wald. Und weiter links die grauen Strandhäuser mit ihren Panoramafenstern. Die bewaldete Jamesinsel, von der Sonne zum Leuchten gebracht.
Ich hielt Ausschau nach Robbie, der surfenden Robbe, aber da weit und breit keine Welle in Sicht war, vergnügte sie sich vermutlich auf andere Art und Weise. Ich dümpelte auf dem Brett vor mich hin, konnte mich nicht sattsehen an allem um mich herum. Im tiefblauen Wasser unter mir sah ich ein silbernes Flimmern. Schwärme kleiner Fische huschten unter der Oberfläche entlang. Ihre Körper blitzten wie winzige Chromteile.
Ich dachte: Das ist dein Sommer, Smilla. Ich war stoned, ohne gekifft zu haben. Naturstoned.
Als ich nach einer Weile wieder zum Strand blickte, merkte ich, dass ich ziemlich weit vom Ufer abgetrieben war. Die Basaltklippen mit ihren Felstürmen am Ende der Bucht waren gefährlich nah und das Meer hatte urplötzlich kleine weiße Schaumkronen. Auf einmal bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich begann, heftig zu paddeln, um von den Klippen wegzukommen.
Zu spät.
Erst jetzt merkte ich, wie stark die Strömung war. Sie trieb mich geradewegs auf die Felstürme zu. Wellen explodierten im Schaumregen an den dunklen Granitfelsen. Der Strand hinter mir war nur noch eine schmale helle Linie, völlig menschenleer. Meine Arme erlahmten und Panik ergriff meinen ganzen Körper. Ich wurde überspült von Gischt, bekam Salzwasser in den Mund und verschluckte mich.
Mit klammen Fingern krallte ich mich an das Brett. Meine Gedanken wirbelten genauso durcheinander, wie ich von der Strömung herumgewirbelt wurde. Ich war lebendiges Treibgut. Das war dein Sommer, Smilla, dachte ich noch, dann spülte eine Welle über mich hinweg und ich wurde unter Wasser gedrückt.
Ich zwang mich, die Augen zu öffnen. Kopfunter hing ich in einem Netz aus Blasen. Lange schwarze Schlangen wanden sich um meine Arme und Beine. Desorientiert trudelte ich durch die dunkle Welt des Zwielichts und spürte, wie mir die Luft ausging. Doch dann sah ich Licht. Ein weißer Spiegel direkt über mir. Mein Körper bäumte sich auf. Arme und Beine kämpften gegen die Schlangen, die mich festhielten und nach unten zogen. Von Todesangst gepackt, strampelte ich und schlug um mich, bis mich die Pflanzen freigaben. Rudernd und prustend stieg ich nach oben. Ich kämpfte mich zur Wasseroberfläche und brach keuchend ins Helle.
Ich rang nach Luft und schrie um Hilfe, obwohl ich wusste, dass niemand mich hören würde. Schon drückte die nächste Welle mich wieder unter Wasser. Diesmal wurde ich über den Meeresboden gezogen, und als ich die Augen öffnete, sah ich einen schwarzen Schatten um mich herumschwimmen. Robbie. Der dunkle Körper der Robbe stieß sanft gegen meinen. Obwohl ich keine Luft mehr bekam, verebbte die Panik in mir. Kaltes, salziges Meerwasser füllte meine Lungen. Das Meer atmete jetzt für mich und ich ergab mich dem ozeanischen Rhythmus, der wie ein Puls durch meinen Körper ging.
Conrad beobachtet den Jungen auf dem Wasser schon seit einer Weile. Es ist die halbe Portion mit den verrückten Augen. Was zum Teufel will er mit seinem Spielzeugbrett da draußen, wo es doch gar keine Wellen gibt, nur gefährliche Unterströmungen? Klarer Fall von Selbstüberschätzung, denkt Conrad. Er hat die Surfversuche des Jungen beobachtet, hat dessen unermüdlichen Willen gesehen, aber auch seine Unerfahrenheit auf dem Surfbrett.
Der Junge auf dem Boogie ahnt nichts von der Gefahr, in der er sich befindet. Er merkt nicht, wie er von der Strömung nach links weggezogen wird, hin zu den Klippen, wo Conrad sitzt und liest. Sein Ort, zu dem er geht, wenn er allein sein will.
Conrad legt das Buch zur Seite. Sein Herz schlägt schneller, er ahnt, was passieren wird. Er kann in seinem Blut die Kraft
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