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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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nicht mit ihnen teilen willst?«
    Conrad schüttelte den Kopf und lächelte leise in sich hinein. »Das sind zwei gute Gründe, aber meiner ist ein anderer.«
    Ich spürte, wie fremd wir einander waren, wie weit entfernt voneinander. Ich wusste immer noch nicht, was Conrad dachte oder fühlte. Und wenn er es nicht wollte, würde ich es nie erfahren. Einen Teil von ihm durfte ich sehen, den anderen hielt er vor mir verborgen. Das machte mich traurig. Aber wer war ich schon, dass er mir sein Innerstes anvertrauen sollte?
    »Du wirst ihn mir nicht sagen, deinen Grund, nicht wahr? Weil ich weiß bin. Weil ich eine von ihnen bin.«
    »Bist du nicht«, sagte er. »Du bist ein Rabe und dein Urgroßvater war ein Walfänger.«
    Wow, dachte ich. Quileute-Jungs konnte man mit Tiernamen und einem Walfängerurgroßvater betören. »Aber?«, fragte ich.
    »Darüber zu reden, ist nicht so einfach, wie du denkst.«
    »Hier sind nur du und ich.« Ich breitete meine Arme aus.
    »Das glaubst du wirklich, oder?«
    »Wer sonst sollte . . .«, ich hielt inne und sah ihn fragend an.
    »Hier gibt es Leben, das du sehen kannst, und welches, das du nicht sehen kannst«, sagte er.
    Meinte er etwa dasselbe, was ich dachte? »Geister?«, fragte ich verwirrt. »Du glaubst an Geister?«
    »Du nicht?«
    Ich wusste nicht, was ich darauf antworten sollte, und schwieg. Etwas flog mit lautem Flügelschlag über uns hinweg und ich zuckte erschrocken zusammen. »Wenn du mir Angst einjagen willst, dann machst du das sehr gut«, murmelte ich.
    »Soll ich dich zum Camp zurückbringen?«, fragte er.
    »Das geht nicht. In meinem Zelt liegt Josh, er ist völlig betrunken.«
    Conrad stieß einen leisen Fluch aus und ich sah, wie Zorn in seinen Augen aufflackerte. »Hat er dich belästigt?«
    »Nein. Er ist sofort eingeschlafen.«
    »Was sind deine Freunde bloß für jämmerliche Gestalten?«
    »Ich glaube, was das angeht, unterscheiden sie sich kaum von anderen Jugendlichen auf der Welt«, sagte ich. Das klang verdammt altklug, aber es stimmte.
    »Und was willst du jetzt tun?«
    »Hier sitzen und warten, bis es hell wird«, sagte ich trotzig.
    »Na komm, kleiner Rabe«, meinte Conrad nach einer Weile, »ich weiß, wo wir hinkönnen.«
    Sein Surfbrett und den Neoprenanzug versteckte er hinter dem Schwemmholz. Dann führte er mich auf einem schmalen Pfad zu den teuren Strandhäusern. Zielstrebig ging er auf eines davon zu, holte etwas unter den hölzernen Stufen hervor und machte sich an der Eingangstür zu schaffen.
    »Was hast du vor?«, flüsterte ich entgeistert. »Willst du hier einbrechen?«
    Conrad hob den Finger an die Lippen und zeigte mir einen Schlüssel. »Aber wir dürfen kein Licht machen.« Bevor er die Tür öffnete, sah er sich noch einmal um. Alles war ruhig. Er schob mich hinein und schloss hinter uns wieder ab.
    Helles Mondlicht schien durch die großen Glasfenster im Erd geschoss. Die Hütte war mit geschmackvollen Möbeln ausgestattet. Tische und Sessel waren mit geschnitzten Figuren verziert, die im fahlen Licht lebendig zu werden schienen. Soweit ich das sehen konnte, gab es alles, was man für einen bequemen Urlaub brauchte. Eine voll ausgestattete Küchenzeile, gemütliche Sitzmöbel und einen Kamin mit Feuerholz daneben.
    »Na, was sagst du? Das Bad hat sogar einen Jacuzzi.« Conrad öffnete den Kühlschrank und holte eine Halbliterflasche Wein heraus.
    »Toll«, sagte ich matt.
    »Das klingt ja nicht gerade begeistert«, meinte er enttäuscht.
    »Und was, wenn sie uns erwischen und irgendwer die Polizei ruft?«
    »Mein Vater ist die Polizei«, erwiderte Conrad. »Ich könnte ihn bitten, dass er uns zusammen in eine Zelle steckt.« Er küsste mich, dann öffnete er einen der Küchenschränke und holte zwei Weingläser hervor. »Komm!«, sagte er.
    Conrad stieg die Holzstufen hinauf und ich folgte ihm. Oben standen wir im Schlafzimmer des Strandhauses, mit einem Panoramafenster bis zum Dielenboden. Vor uns der blau schäumende Ozean. Ich sah einen hellen Streifen am Horizont, hörte leise das Rauschen der Brandung. Mein Herz schlug laut und meine Knie waren so weich, dass ich kaum noch stehen konnte.
    Conrad bemerkte nichts von meinem inneren Aufruhr. Er setzte sich auf den Webteppich vor dem Fenster, öffnete den Wein und goss etwas in die beiden Gläser. Ich hatte angenommen, dass er versuchen würde, mich schnurstracks in dieses riesige Bett zu kriegen, aber ich irrte mich. Er reichte mir ein Glas Wein. Ich nahm es und setzte mich

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