Indigosommer
neben ihn. Wir stießen an und tranken. Der Wein war kalt und süß.
Conrad lehnte sich mit dem Rücken gegen das Bett und legte den Kopf in den Nacken. Ich fragte mich, ob er sich manchmal wünschte, in so einem Haus zu wohnen und Wein aus schicken Gläsern zu trinken. Wahrscheinlich wollte er mich beeindrucken, wollte mir zeigen, dass er nicht nur der Indianerjunge war, der Muscheln in einer Blechdose über dem offenen Feuer garte.
Als Conrad wieder zu sprechen begann, hatte seine Stimme einen trotzigen Klang. »Als mein Bruder und ich kleiner waren, hat unsere Mutter uns verboten, die Weißen in den Ferienhütten mit unserer Anwesenheit zu belästigen. Manchmal haben wir mit den Kindern der Gäste gespielt, aber als unsere Mom es mitbekam, hat sie es uns verboten.«
»Warum?«
Er hob die Schultern. »Vielleicht sollten wir einfach nicht sehen, wie komfortabel man auch leben kann.«
»Und hier einzubrechen und die Minibar zu plündern, das verschafft dir späte Genugtuung?«
»Ja«, sagte Conrad und goss den restlichen Wein in unsere Gläser. »Irgendwie schon. Weißt du eigentlich, was den Leuten aus den Städten an diesen Ferienhäusern so gefällt?«
»Lass mich raten: Die grandiose Aussicht, die atemberaubende Natur, die Nähe zum Strand?«
»Das natürlich auch. Aber was sie dazu bringt, 280 Dollar für eine Nacht in so einem Strandhaus zu bezahlen, sind nicht der Whirlpool oder der Kamin oder die Aussicht, sondern dass es hier kein Telefon gibt und keinen Fernseher. Handys funktionieren auch nicht. La Push ist eine Dead Zone . Die Leute bezahlen dafür, von der übrigen Welt abgeschnitten zu sein.«
Ich trank noch einen Schluck von meinem Wein und sagte: »Ich verstehe es nicht. Warum all das hier, wenn ihr die Leute doch gar nicht haben wollt?«
»Ganz einfach: Wir brauchen ihr Geld. Früher haben wir vom Robbenfang und vom Walfang gelebt. Heute sind wir auf der Jagd nach den grünen Scheinen.« Ich hörte Resignation in seiner Stimme. »Wir brauchen das Geld, also dulden die meisten von uns die Sommergäste. Ein Großteil von ihnen benimmt sich ja auch respektvoll gegenüber uns und unserem Land.«
»Nur die Surfer nicht«, sagte ich.
»Einige von ihnen sind ganz okay. Man bemerkt sie kaum. Aber es gibt auch andere, Leute wie Alec, Josh und die Schaufensterpuppe, die da draußen täglich ihre Show abziehen. Sie haben keinen Respekt vor dem Meer und erst recht nicht vor unserem Land oder uns, den Menschen, die es seit mehr als achthundert Jahren bewohnen. Ich hasse es, wenn sie abfällig über uns reden. Wenn sie über das Meer reden als etwas, das sie bezwingen können.«
»Aber wenn du die Surfer verachtest, wie kommt es dann, dass du es so gut kannst? Ich meine das Surfen?«
Ein Ausdruck der Abwehr erschien auf Conrads Gesicht. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Ich habe es nicht eilig«, sagte ich, trank meinen Wein aus und stellte das Glas auf den Boden. Abwartend sah ich Conrad an. Er wirkte auf einmal fremd und seltsam abweisend. Der Duft seiner Haare, die nach Seetang rochen, stieg mir in die Nase.
Conrad atmete tief durch und leerte sein Glas in einem einzigen Zug. Stockend, fast widerstrebend begann er, von diesem Mann zu erzählen, der vor zehn Jahren mit seinem Surfbrett am First Beach aufgetaucht war. »Mein Bruder und ich waren neun Jahre alt und wir sammelten Schwemmholz am Strand, als er im schwarzen Anzug mit seinem riesigen Brett ins Wasser stieg.«
Zwillinge, schoss es mir durch den Kopf. Conrad war ein Zwilling. Das Gedankenkarussell setzte sich in Bewegung.
Er sprach weiter, doch es kam mir so vor, als rede er gegen seinen Willen, als hätte ich ihn zu etwas gezwungen.
»Von da an saßen wir jeden Tag am Strand und beobachteten den Mann mit seinem schwarzen Neoprenanzug und seinem riesigen Surfbrett. Es war faszinierend, wie er die Wellen ritt, wie er auf ihnen tanzte. Mein Bruder und ich, wir waren mit dem Meer aufgewachsen und begriffen schnell, dass er es lesen konnte wie ein Buch. Sein Blick nahm jede Besonderheit wahr und er kannte die Geheimnisse des Ozeans wie kein anderer Weißer. Manchmal saß er ganz still am Strand und seine Nasenflügel bebten. Als ob er am Geruch, der aus den Tiefen des Meeres kam, etwas erkennen konnte, etwas, das weder mein Bruder noch ich imstande waren wahrzunehmen.
Alles, was wir wollten, war, so surfen zu können wie er.
Eines Tages setzte er sich zu uns und begann, aus seinem Leben zu erzählen. Er hieß Frank und hatte viele
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