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Indigosommer

Indigosommer

Titel: Indigosommer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antje Babendererde
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Jahre auf Hawaii gelebt. Wir wurden Freunde. Unser Vater hatte selten Zeit für uns und so war die Faszination, die von Frank und seinem Surfbrett ausging, für uns besonders groß.«
    Ich spürte die Kraft, die Conrad aufbringen musste, um mir diese Geschichte zu erzählen, aber als er fortfuhr, redete er nicht mehr so stockend. Es war, als hätte er eine Lawine losgetreten. »Der Winter erschien uns öde und trist. Doch im Sommer darauf war Frank wieder da. Er hatte zwei Shortboards im Gepäck und brachte uns das Surfen bei.« Conrad legte den Kopf in den Nacken und starrte an die Decke. »Es zu lernen, fiel uns leicht. Vielleicht, weil wir vertraut waren mit dem Meer und es bald auf dieselbe Art lesen konnten wie er. Mein Bruder wurde Franks Lieblingsschüler. Er war besessen und träumte davon, eines Tages an Stränden auf Hawaii oder in Südafrika zu surfen. Frank bestärkte ihn darin. Er sagte: ›Du bist gut, Kleiner, du kannst es schaffen.‹ Mein Bruder glaubte ihm und wurde immer tollkühner.
    Unsere Freunde im Dorf, die das Ganze zu Anfang noch witzig fanden, begannen, uns als Spinner zu betrachten. Das Meer war für sie nicht zum Vergnügen da. Ihre Eltern und Großeltern missbilligten, was wir taten, und selbst wenn der eine oder andere auch gerne einmal auf einem Brett gestanden hätte – sie zeigten uns ihre Verachtung.
    Uns machte das nichts aus. Wir hatten ja Frank und wir hatten uns. Als unsere Mutter fortging, warf uns das ziemlich aus der Bahn, aber wir taten, was wohl jeder in unserer Situation getan hätte: Wir hielten noch enger zusammen. Mein Bruder entwickelte eine geradezu manische Energie beim Wellenreiten. Fortan betrachtete er das Surfen als seine größte Herausforderung.
    Bald redete er über nichts anderes mehr. Neue Manöver, die besten Boards, perfekte Wellen – ich konnte es nicht mehr hören. Wenn sich ein guter Swell ankündigte, ging er nicht zur Schule, sondern mit seinem Surfbrett zum Strand. Der Ozean führte die Regie in seinem Leben. Er wollte der zweite Kelly Slater werden.«
    Conrad sah mich an und ich nickte. Dank Brandee und Josh war mir Kelly Slater ein Begriff.
    »Er übte und übte, surfte auch in den Herbststürmen. Ich war nicht so waghalsig wie er, das bin ich nie gewesen. Ich hatte meinen Spaß auf den Wellen und manchmal wetteiferte ich mit ihm, aber nur weil ich wusste, wie viel Freude es ihm machte. Doch er war süchtig nach dem Risiko und wurde wütend, wenn ihm etwas misslang.
    Im letzten Sommer, da gab es auf einmal richtig gewaltige Brecher hier am First Beach. Mein Bruder stand mit seinem Brett am Strand und starrte fasziniert aufs Meer hinaus. Ich kannte ihn nur zu gut. Sobald er sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er durch nichts mehr aufzuhalten.
    Trotzdem bat ich ihn, es nicht zu tun.« Conrad schluckte tro cken. Er schüttelte den Kopf, als wollte er die Bilder daraus vertreiben. Ich nahm an, dass ihm das Ganze wieder lebendig vor Augen stand, während er davon erzählte. Auf einmal schien er schnell zum Ende kommen zu wollen. »Doch tollkühn, wie er war, paddelte er hinaus und eine Welle verschluckte ihn. Er wurde niemals gefunden. Nur sein Brett spuckte das Meer an den Strand. Die Fangleine war gerissen.«
    Ganz in seinem Schmerz versunken, blickte Conrad hinaus in die Nacht. Mir kam es so vor, als wären wir nicht allein im Raum, als gäbe es einen ungebetenen Gast. Ich hatte sogar das Gefühl, einen Hauch Tang und Fisch zu riechen. Das war unheimlich und ich versuchte, diese merkwürdige Empfindung abzuschütteln.
    »Das tut mir so leid«, flüsterte ich. »Er war dein Zwilling, nicht wahr?«
    Ich bekam keine Antwort. Er schien mich gar nicht zu hören. Ich holte Luft, um ihn noch einmal zu fragen, da sagte er: »Zwillinge, ja. Eineiig sogar. Die Leute im Ort konnten uns nicht auseinanderhalten. Mein Bruder war zuerst auf die Welt gekommen, ich folgte ihm zehn Minuten später nach. Ich war sein Schatten. Jetzt ist er meiner.«
    »Wie hieß er«, flüsterte ich.
    Conrad blieb lange Zeit still, vielleicht bereute er, mir so viel erzählt zu haben. Doch dann sagte er leise: »Ich darf seinen Namen nicht aussprechen. Zehn Jahre lang nicht.«
    »Aber wieso nicht?«
    »Weil sein Geist, sein Yalá, wenn er seinen Namen hört, denken könnte, ich hätte ihn gerufen. Dann würde er zu mir zurückkommen.«
    Als Conrad das sagt, sieht er die Frage in Smillas Gesicht: Glaubst du das wirklich?
    Ihm fallen die Momente ein, in denen er nahe dran gewesen

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