Indische Naechte
ziehen und trösten zu können, bis keine Gefahr mehr bestand, daß sie >auseinanderfallen< würde, wie sie es genannt hatte. Dummerweise hätte dies genau den gegenteiligen Effekt gehabt. Er konnte sich selbst nicht vertrauen, und die Situation wurde schlimmer statt besser.
Es war nicht schwer zu verstehen, warum die Männer auf dem Ball von Cambay so entzückt von Laura gewesen waren, denn ihre unbewußte sinnliche Ausstrahlung konnte einen Mann durchaus in den Wahnsinn treiben. Und Ian war sich sicher, daß er jeden Tag ein bißchen wahnsinniger wurde. Wenn Laura nur ein wenig keß wäre, dann würde sie Männer aus einem Umkreis von fünfhundert Meilen anziehen. Er nahm an, er sollte dankbar sein, daß sie sich ihrer Aura nicht bewußt war.
Als Ablenkung begann er, seinen Revolver zu reinigen. Er würde die gegenwärtige Situation niemals die sechs Monate ertragen, die sie brauchten, bis sie endlich in Schottland waren. Das bedeutete, daß er die Bedingungen ihrer Ehe vorher neu festlegen mußte. Aber wann? Nach einigem Grübeln entschied er sich für die Zeit in Bombay. Die Stadt war zivilisiert und besaß einen hohen Anteil an Briten, so daß Laura nicht so isoliert sein würde wie jetzt. Dort würde sie ohne Druck entscheiden können, ob sie die Ehe weiterführen wollte.
Wieder betrachtete er Laura. Ja, Bombay wäre die richtige Zeit, der richtige Ort. Während er seinen Revolver wieder zusammensetzte, begann er im Geiste auszurechnen, wie lange sie wahrscheinlich noch bis Bombay unterwegs sein würden.
Er weigerte sich, daran zu denken, was zum Teufel er tun sollte, wenn Laura entschied, die Bedingungen ihrer Ehe nicht ändern zu wollen.
Meera rollte sich unter ihrer geborgten Decke zusammen und konnte ihr Glück kaum fassen. Es war also wirklich nicht ihr Karma, so jung zu sterben. Vielleicht war es dieses Wissen gewesen, das sie so verzweifelt gegen den Tod hatte ankämpfen lassen. Der englische Sahib (was schottisch war, wußte Meera wirklich nicht) war in seinem Zorn wunderbar gewesen, und die Memsahib war eine freundliche Frau, die ihr eine gute Herrin sein würde. Obwohl der große bärtige Pathane sie zuerst eingeschüchtert hatte, war seine Berührung sanft gewesen. Sie hatte von ihm nichts zu befürchten.
Heute war ihr mehr Freundlichkeit begegnet als in all den Jahren im Haus ihres Mannes — bis auf die Zuneigung von Mohan selbst. Das Schicksal ist seltsam, dachte sie schläfrig. Vor nur einer Nacht war sie noch die respektable Frau eines reichen, wenn auch dahinsiechenden Kaufmanns gewesen. Nun war sie ein Dienstmädchen, das nur das besaß, was sie am Körper trug. Dennoch war sie glücklicher und hoffnungsfroher als je zuvor. Und mit dem Gedanken daran schlief sie ein.
Als Funken aus dem Feuer in die dunkle Nachtluft stoben, wachte Meera wieder auf. Entsetzt setzte sie sich ruckartig auf und blickte sich panisch um, bis sie erkannte, daß Zafir bloß ein bißchen neues Holz auf das Feuer geworfen hatte.
Der Pathane wandte sich um, als sie aufschreckte. Leise, damit niemand sonst wach wurde, sagte er: »Das Feuer macht dir angst, kleine Taube?«
Ihre zu Fäusten geballten Hände lösten sich. »Ich... ich werde mich bald wieder daran gewöhnen. Das muß ich ja — niemand kann ohne Feuer leben.« Dann fragte sie neugierig: »Warum nennst du mich kleine Taube?«
Er lächelte und zeigte seine strahlendweißen Zähne. »Du bist so zierlich und anmutig wie eine Taube, und du bist wie eine Taube geflogen. Aber vielleicht wäre kleiner Falke treffender, denn es braucht viel Mut, um vom Scheiterhaufen zu fliehen. Ich habe noch nie von einer Witwe gehört, die es gewagt hat.«
Wie die meisten Pathanen war Zafir größer und hellhäutiger als die Menschen der Ebene, und seine scharfen Züge verliehen ihm ein wildes Aussehen, auch wenn er lächelte. Meera war froh, ihn auf ihrer Seite zu wissen. »Ich war nicht mutig«, sagte sie ehrlich. »Ich hatte nur Angst!«
»Natürlich. Du bist nur eine Frau«, sagte er großmütig. »Aber deine Furcht wurde zur Quelle von
Kraft statt von Schwäche. Nun schlaf, kleine Taube. Niemand wird dir etwas antun.«
Bevor sie gehorchte, mußte sie noch eine Frage stellen. »Hat Falkirk Sahib wirklich den bösen Blick?«
»Nein.« Zafir lachte. »Das hat er nicht nötig. Er kennt keine Furcht, und er reitet und schießt so gut wie Pathanen.«
Frech genug geworden, um ihn ein wenig zu necken, sagte sie: »Ich dachte, niemand könnte sich mit einem Pathanen
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